Zwei Eisenbahnwelten: Der „Blaue Zug“ und der „Partisanenzug“
Wenn man von „Titos`Zug“ spricht, denken die meisten an den luxuriösen „Blauen Zug“, mit dem Josip Broz zu Staatsbesuchen fuhr. Dieser war im Art Deko-Stil eingerichtet und Tito hat damit ca. 600 000 km zurückgelegt, also dreizehnmal die Welt umrundet.
Keinen Meter ist der dagegen mit seinem historisch vermutlich wesentlich bedeutsameren „ersten Zug“ gefahren, einer Schmalspurkombination, die ihm und seinem Stab ab Oktober 1942 für fast 150 Tage als Hauptquartier diente. Und wesentlich bescheidener eingerichtet war dieser Zug auch.
Wo sich der Partisanenzug befindet
Wir besichtigen diesen Zug auf der zweiten Etappe unserers Trainspottings der etwas anderen Art in Bosnien.
Dazu fahren wir, nach der Besichtigung der dortigen Dampflokomotive und von Titos`Grotte von Drvar wieder hoch nach Oštrelj. Dieses Mal halten wir aber auf der Passhöhe und parken unser Auto vor dem dort befindlichen Restaurant.
Raznići, Natur und Kriegsruinen
Wenn wir hungerig sind, können wir hier essen. Das Speisenangebot ist überschaubar, aber deftig. Die Fleischstückchen der Raznići sind mit gesalzenem Speck umwickelt, Anschließender Dauerdurst ist also garantiert.
Wenn das Wetter gut ist, können wir auf der Terasse essen und so die merkwürdige Mischung zwischen Mittelgebirgsnatur und Kriegszerstörung studieren.
Die Bäume sind hoch und kräftig. Unter ihnen befinden sich verstreut verlassene Gebäude, einige davon sind durch die Kämpfe während des Bosnien-Krieges unbewohnbar geworden.
Heute verlassen, früher viel Eisenbahngeschichte
Wenn wir es nicht wüssten, würden wir nicht glauben, dass wir uns hier an einem Ort mit viel Eisenbahngeschichte befinden.
Wikipedia schreibt hierzu:
Ende des 19. Jahrhunderts begann der bayerische Unternehmer Otto Steinbeis mit dem Export von Holzprodukten aus Bosnien. Sein Unternehmen betrieb eine eigene Schmalspurbahn, die sogenannte Steinbeisbahn, mit der Hauptlinie Prijedor–Srnetica–Knin mit einem Bahnhof in Oštrelj. Die Steinbeisbahn kam nach dem Ersten Weltkrieg in den Besitz der Forstunternehmung ŠIPAD. Oštrelj hatte 360 Einwohner und eine große Zahl von Zupendlern. Im Dorf gab es eine Grundschule, einen Polizeiposten, mehrere Restaurants und diverse Einkaufsmöglichkeiten.
Anfang des 20. Jahrhunderts sah es deshalb hier so aus:
(Quelle: Von Unbekannt – http://www.zeleznice.in.rs, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=52008331)
Die Partisanen-Republik von Bihać
Im Zweiten Weltkrieg kam der Bahn hier eine besondere Bedeutung zu. Das Gebiet gehörte damals zu der von den Partisanen kontrollierten Republik von Bihać (Bihaćka republika). Der für die Versorgung und den Abtransport der Verwundeten in Hospitäler im Hinterland wichtige Bahnverkehr war dort u.a. deshalb möglich, weil die dortigen Bahnstrecken in den Militärkarten der Wehrmacht mit roter Farbe als „zerstört“ gekennzeichnet war. Deshalb verzichtet man auf Luftangriffe gegen die Bahnstrecken um Bihać.
Nicht nur die fahrenden Züge waren für die Verteidigung wichtig, sondern auch einer, der hier, fünfzig Meter hinter der Gaststätte, im Wald abgestellt worden war. Von dort aus wurden nämlich die militärischen Unternehmungen der Partisanen koordiniert und befehligt.
Filmdokumente aus den 1960ern
Auch nach dem Zweiten Weltkrieg war der Ort noch wichtig für den Verkehr. Dies belegen Videos auf You-Tube.
Eines davon zeigt Rangierarbeiten dort im Jahr 1969:
Ein anderes nimmt uns mit auf eine Fahrt von Oštrelj nach Srnetica (das übrigens Thema unserer nächsten Folge der Artikelserie „Trainspotting der etwas anderen Art in Bosnien“ sein wird), weiter nach Gradač.
Beieindruckend vor allem, wie lässig man damals noch in den fahrenden Zug einstieg (ca.: 2:50 im Video) !
Exkurs: Veränderung der Bevölkerung und von deren Struktur
Wenn man sich über die Entwicklung von Oštrelj nach dem Zweiten Weltkrieg informiert, fällt einem auf, dass – wohl wegen der sinkenden Bedeutung des Bahnverkehrs – die Einwohnerzahl spätestens ab den 1970ern stetig sank.
Allerdings zeigen die auf Wikipedia veröffentlichten Zahlen hierzu nicht nur einen Rückgang der Bevölkerung, sondern sie weisen zwischen 1981 und 1991 auch eine merkwürdige Verschiebung unter den Bevölkerungsgruppen auf:
Bevölkerungs
gruppe |
1971 | 1981 | 1991 | 2013 |
Serben | 146 | 15 | 46 | |
Jugoslawen | – | 45 | 1 | |
andere | 16 | 1 | 3 | |
Total | 162 | 61 | 50 | 5 |
Aus der Tabelle ergibt sich also u.a. folgendes:
- Die Anzahl der Serben nahm nach dieser Statistik also zwischen 1971 und 1981 rapide ab. Während die Gesamtbevölkerung von Anfang der 1970er bis Anfang der 1980er „nur“ um ca. 60 % sank, verminderte sich die Zahl der Serben im gleichen Zeitraum um fast 90 %,.
- Im nachfolgenden Jahrzehnt verdreifachte sie sich dann wieder.
- Gleichzeitig tauchen in der Statistik für 1981 auf einmal Jugoslawen auf, die es 1971 noch nicht gab, und bilden sogar die weitaus stärkste Gruppe.
- Zehn Jahre später sind diese dann wieder fast verschwunden bzw. auf 2 % der Zahl von 1981 gefallen.
- Und die Zahl der „anderen“ fällt von 1971 auf 1981 auf ca. 7,5 % des Ausgangswertes – um sich dann in den nächsten Jahren wieder zu verdreifachen.
Möglicherwesie wechseln nicht die Einwohner, sondern diese nur ihre Nationalität!
Diese Veränderungen sind erstaunlich und legen nahe, dass hier ein ständiges Kommen und Gehen geherrscht hat. Es ist jedoch nicht unwahrscheinlich, dass weniger Menschen weg- und zugezogen sind, als es die Zahlen Glauben machen.
Diese Möglichkeit besteht wegen der Besonderheiten der Volkszählung im ehemaligen Jugoslawien.
Dabei konnten die Befragten nämlich selbst wählen, zu welcher Gruppe sie sich zuordnen wollten. Außerdem wurde zwischen 1971 und 1981 die Möglichkeit geschaffen, sich keiner der „traditionellen “ Volksgruppen zuzurechnen, sondern sich – quasi neutral – als „Jugoslawen“ zu titulieren.
Die „Jugoslawen“ von 1981 müssen also keine Zugezogenen sein, sondern sie klnnen auch Personen sein, die sich ein Jahrzehnt vorher noch als „Serben“ oder „andere“ verstanden haben. Und bei manchen der 1991 neu verzeichneten „Serben“, könnte es sich um Personen handeln, die zu Beginn der 1980er noch pro-jugoslawisch eingestellt waren und dann Anfang der 1990er, in Zeiten, in denen nationale und nationalistische Strömungen zunahmen, wiederum ihr Selbstverständnis geändert haben.
Man sieht:
- Bevölkerungstatistiken sind bezüglich des ehemaligen Jugoslawiens kritisch zu betrachten. Und:
- Die großen politischen Veränderungen Anfang der 1990er reichten bis in den tiefsten Wald!
Zurück zum Thema Eisenbahn.
Gleich neben dem Gasthaus findet sich – in Richtung Bosanski Petrovac gesehen – ein zerstörtes Haus.
Wenn man genau hinsieht, erkennt man hinter dessen linkem Eck schon das Objekt unserer Begierde im Wald:
Nach kurzem Fußweg stehen wir dann sind wir dann vor dem Zug, dessen hinterer Teil unter einer Holzüberdachung steht:
Lok aus Deutschland….
Bei der „anonymen Schönen“ in Drvar fanden wir ja keine Hinweise auf die Herkunft. Auch hier fehlen einige Hinweise, da ein Souvenierjäger ein Typenschild mitgenommen hat:
Aber im Internet finden sich Informationen, nicht nur zur Lok, sondern auch zu den Wägen. Und auch dazu, wie sie ausgestattet waren.
Die Lok ist eine 1904 gebaute Krauss-Maffei „12 Maffei 2438/1904“ ( B´Bt-n4v(12) mit einer Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h, die ausschließlich auf der Steinbeis-Bahn und später bei der Nachfolgegesellschaft Šipad verkehrte.
Es gibt also einiges zu erkunden:
Hier einige Details der Lok:
… Tapete“ aus Drvar
Auch über die Wägen gibt es Informationen im Netz der Netze. So erfährt man, dass Tito in einem Postwagen Dn 5202 untergebracht war, der eine Länge von 7,90 Meter hatte, und durch eine Zwischenwand in zwei Räume unterteilt worden war. Diesen Wagen gibt es heute noch;
Allerdings fehlt jegliche Einrichung. Das war damals anders:
In einem Raum befand sich ein eiserner Ofen, eine festgeschraubte Bank und ein Regal. Im anderen wiedrum eine Bank, die wohl auch als Bett genutzt wurde, ein Tisch mit vier Stühlen und ein weiteres Regal.
Obwohl dieser Wagen im Verlauf der Kämpfe im zweiten Weltkrieg ausbrannte, weiß man sogar noch, wie die Wände dieses Wagens ausgestaltet waren: Sie waren mit grauem Papier beklebt, das in der Zelloulosefabrik im nahen Drvar hergestellt worden war.
Als man den Zug in den Jahren 2006 und 2007 renovierte, orientierte man sich an dieser ursprünglichen Farbgebung.
Und auch die ursprüngliche äußere Bemalung stellte man wieder her.
Dazu gehörte neben dem charakteristischen Grün als Grundfarbe auch der rote fünfzackige Stern mit Hammer und Sichel. (Letztere sollten nach dem Bruch von Tito mit Stalin und dem Sowjetkommunismus aus dem Arsenal der jugoslawischen Staatsymbole verschwinden. Weshalb eine solche originagetreue Rekonstruktion wohl zu Zeiten des jugoslawischen Sozialismus nicht möglich gewesen wäre.)
Außerdem wurde auch der Namenszug „Proletaka“ („Proletarierin“) wiederhergestellt.
Diese Rekonstruktion ist allerdings eventuell nicht originalgetreu. Im Internet finden sich nämlich Stimmen, die davon sprechen, dass die Lok ursprünglich in kyrillischer Schrift beschrieben worden wäre.
Die Renovierung des Zuges hat damals landesweites Medieninteresse hervorgerufen. In Jugoslawien wundert das niemand. Genau besehen zeigt dies aber auch wieder die Sonderrolle, die Jugoslawien auch nach Ende des dortigen Sozialismus spielt: Oder könnte man sich vorstellen, dass in der DDR mit so breitem gesellschaftlichen Konsens die Erinnerung an Erich Honnecker oder in Rumänien diejenige an Causescu gepflegt würde?
Seit der Renovierung scheint man sich jedoch nicht mehr um den Zug zu kümmern.
Im letzten Winter brach das Dach, das man über den Zug errichtet hatte, über der Lok unter den Schneemassen ein.
Mit der Folge, das Balken, aus denen beeindruckende Nägel gefährlich herausragen, direkt vor der Lok liegen.
Und auch die Türen eines der Waggons – die wohl nicht der Schnee des Winters herausgerissen hat – hängt bedrohlich.
Deshalb ist Vorsicht angesagt!
Mit dem Mountainbike auf der Trasse
Wernn man ein Mountainbike dabei hätte, könnte man jetzt auf der ehemaligen Bahntrasse nach Jarovoj Kosi und Osječenici fahren. Die frühere Bahnstrecke geht nämlich direkt am Standort des Zuges vorbei.
Auch hier ist jedoch Umsicht von Vorteilt.
Man sollte nämlich die Richtung, in die einen der Wegweiser führen möchte, nochmals überprüfen. Auch dieser Wegweiser ist nämlich nicht mehr an seinem Platz. Wir fanden ihn bei verschiedenen Besuchen an unterschiedlichen Stellen abgelegt:
Ein Mountainbike wäre übrigens auch das beste Verkehrsmittel, um (noch dazu auf der Originaltrasse) zum nächsten Ort unserer Trainspotting-Safari zu kommen, der verlassenen Stadt Srnetica. Wie wir am eigenen Leibe erfahren mussten, eignen sich normale PKWs dazu nämlich herzlich wenig.
(Wird fortgesetzt)
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