
Dies ist die Fortsetzung von Brüderlichkeit, Einheit und „Goldene Akkorde“ -Beat in Titos Jugoslawien Teil 1 und Teil 2.
Sarajevo: Qualität statt Quantität
Sarajevo, das am Ende des Jahrhunderts für seine Vielfal so tragisch büßen musste, durch Menschen, denen nicht nach Vielfalt zumute war, sollte ab den 60-ern zu dem Zentrum der jugoslawischen Rock- und Popmusik werden.
Aus der Beatarea sind dagegen heute nur wenige Gruppen aus Sarajevo bekannt. Dennoch gründete sich dort eine der wichtigsten Gruppen. Nicht nur für die Beatmusik, sondern für die weitere Entwicklung des Jugorocks allgemein.
Davon, dass Beat in Jugoslawien vor allem Studentensache war, war schon die Rede. Bestätigt wird das auch durch den Namen einer der einflussreichsten Bands des inzwischen untergegangenen Landes. „Indexi“ hieß diese Band. Und das heißt „Die Studienbücher“. Grund für die Wahl dieses Namens: Alle Mitglieder studierten, als sie die Band gründeten.
Das klingt jetzt alles nicht unbedingt sehr vielversprechend. Die Dinge entwickelten sich jedoch mehr als positiv.
Studienbücher mit Beat und Sound
Die Band gründete sich 1962 und bestand, mit Unterbrechungen, bis in die 90er Jahre hinein. Dazwischen lag ein langer Weg.
Er führte von Instrumentalmusik über die Erweiterung um einen Sänger (den vor einigen Jahren verstorbenen, legendären Davor Popov) hin zur Teilnahme an der nationalen Eurovisionsausscheidung und zu musikalischen Experimenten mit Orgel- und Gitarrendominierten Instrumentalpassagen. Weiter ging der Weg über Ethnoexperimente mit Saz und Guzla, lange bevor man im Westen wusste, was Ethnopop sein können würde.
Dann gab es auch noch textlich ambitionierte Alben, bei denen Gedichte von Mak Dizdar die Worte lieferten. Während des Kriegs Anfang der 90-er gab es dann auch die Flucht eines Teils der Gruppenmitglieder aus dem belagerten Sarajevo und die Verwundung anderer, die dort geblieben waren. Da vergisst man fast, dass sie u. a. 1967 „Nowhere Man“ gecovert und auf der Rückseite einer Single auch auf Platte veröffentlicht haben.
Ihre Lieder, gerade die aus den 60-ern, werden auch heute noch gecovert. Und – wichtiger noch – auch gesungen, wenn weit und breit kein Stromanschluss zu finden ist. Sie gehören also zu den wahren Standards des Jugorocks. Übrigens, trotz des Krieges, heute noch in allen Landesteilen.
Nicht nur Platten kommen über die Grenze
In anderen sozialistischen Staaten kamen (zumindest bis „Glasnost“ und „Perestrojka“) lediglich die Schallplatten aus dem Ausland an, nicht aber die Musiker. In Jugoslawien war das anders. Ab und zu konnten dort nämlich auch ausländische Gruppen auftreten.
Es gibt Stimmen, die behaupten, die „Rocking Vickers“ seien 1965 oder 1966 die erste westliche Gruppe auf Tournee in Jugoslawien gewesen. Das dürfte jedoch so nicht stimmen. Andere Quellen berichten nämlich von früheren Tourneen ausländischer Gruppen. Und die waren noch dazu prominenter als die „Rocking Vickers“.
Schon 1964 traten auf dem Spliter Festival nämlich – bitte raten, ja genau:- die Shadows auf. (Nach dem Konzert sollen sie in einem Spliter Club mit den einheimischen Musikern gejammt haben.) Ebenfalls im selben Jahr in Jugosalwien auf Tournee gesichtet: Die „Searchers“. Und das Jahr danach waren die „Hollies“ da.
Bei den Konzerten der „Searchers“ und der „Hollies“ spielten übrigens die „Elipse“ („Ellipsen“) als Vorgruppe. Eine Band, die in den Medien gerne als Rivalen der „Siluete“ (Silhouetten“) dargestellt wurde. Ähnliches kennt man von der angeblichen Rivalität der „Beatles“ und der „Rolling Stones“. Es gleichen sich also nicht nur die Bilder und Töne, sondern auch die Vermarktungsstrategien.
Zurück zu den „Rocking Vickers“. Der Name mag vielen nichts sagen. Einer der Musiker dieser Gruppe war bis vor kurzem noch fett im Geschäft: Lemmy, der bis zu seinem Tod bei Motörhead den wilden Mann spielt. Angeblich hat die Band bei der Tournee auch Tito persönlich getroffen. „Lemmy meets Tito“. Wenn das wahr ist, dann bewahrheitet sich wieder einmal, dass Jugoslawien kein typisches sozialistisches Land war. Ulbricht hätte so jemanden nie in sein Land und noch weniger in seine Umgebung gelassen.
Treppenwitz der Geschichte: „Motörhead“ waren auch eine der letzten ausländischen Bands, die in Jugoslawien tourten, bevor der Krieg dort ausbrach und das Land aufhörte in seiner früheren Form zu bestehen.
Der endlose Schatten der „Shadows“
Die einflussreichste ausländische Gruppe, selbstverständlich neben Übergrößen wie den „Beatles“ und „Rolling Stones“, waren jedoch die „Shadows“.
Liest man die Enzyklopädie von Janjatovic (vgl. unten bei den Literaturhinweisen) so gehen einem die ständigen Verweise auf die „Shadows“ ehrlich gesagt irgendwann auf den Geist und man hält sie für übertrieben.
Hört man sich dann jedoch die in Kroatien erschienene 6er-CD-Box „Kada je rock bio mlad“ (Als der Rock jung war“) an, dann bestätigt sich die überragende Bedeutung der „Shadows“. Die erste CD steht unter der Motto „Estrada susrece Rock’n’Roll – Zaplesi twist!“ („Als die Unterhaltungsmusik den Rock’n’Roll traf – Tanz den Twist!“). Die beiden letzten CDs stehen unter dem Motto „And the Beat goes on“ (Übersetzung wohl überflüssig) und enthalten typischen Beat auch mit Vocals.
Aber CD 2 bis 4 stehen unter dem Motto „Doba Elektricara – Instrumentalni rock“ („Das Zeitalter der Elektriker – Instrumental Rock“). Die Hälfte der ganzen Sammlung besteht also aus Instrumentalversionen! Wenn das nicht nach den „Shadows“ als Überväter riecht ?
Die „Shadows“ waren u.a. auch das große Vorbild der „Siluete“ (Sillhouetten), einer bereits 1961 in Belgrad gegründeten Gruppe. Ähnlich wie Roger McGuinn die „Byrds“ nach dem Besuch des Beatles- Films „A Hard Days Night“ gegründet hat, soll der Film „The Young Ones“ mit Cliff Richard und den Shadows die Initialzündung für das Entstehen der „Silhouetten“ gegeben haben. Außer Instrumentalnummern spielte diese Gruppe mit Vorliebe auch Nummern von den „Searchers“.
Dennoch gelang es der Gruppe ä, sich ein provokatives Image zuzulegen. Schuld daran war u.a. ein geschickt gestreutes Gerücht, die Band hätte während eines Deutschlandaufenthalts in Nürnberg auf einem Friedhof gespielt.
Weitere bekannte Shadows-Epigonen waren die Zagreber „Mladi“ (Die Jungen“). Eines ihre bekanntesten Lieder hieß „Navdovod“. Was nichts anderes heißt als „Pipeline“.
Die „Shadows“ nachzuspielen erfordert Talent. Mit den „Shadows“ auftreten, vermutlich noch mehr. Die „Crveni Koralj“ hatten dieses Glück. Diese Gruppe hält auch einen anderen Rekord: Ihre Single „Dok je drugi ljubi („Während ein anderer sie küßt“, eine Coverversion von „Then he kissed me“) verkaufte sich 1964 nämlich 100.000 Mal. Und das obwohl es zu dieser Zeit in ganz Jugoslawien nur 120 000 Plattenspieler gegeben haben soll.
Den absoluten Ritterschlag erhielt jedoch der aus Ljubljana stammende Aleksandar Mezek . Der ging nämlich unter seinem englischen Pseudonym Alexander John mit Cliff Richard auf Tournee und schrieb auch Songs für ihn. Außerdem nahm Mezek auch eigene Singles in England auf. Bei einer hat kein geringerer als Rick Wakeman Keyboards gespielt.
Für Musik ohne Worte und Sprache kann es verschiedenen Gründe geben
Die Shadows mit ihrem instrumentalen Rock waren überall in Europa ein Vorbild. Sogar die Beatles haben ihnen mit dem Stück „Cry for a Shadow“ ( übrigens der einzigen gemeinsamen Komposition von George Harrison und John Lennon) Tribut gezollt.
Jedoch kann es auch andere Gründe für diese starke Präsenz der Instrumentalmusik gegeben haben.
Jugoslawien war ein sozialistisches und multikulturelles Land Wer nicht singt, muss sich nicht entscheiden, ob er das Englisch (das ja dann doch irgendwie auch die Sprache des Klassenfeinds war) gebraucht, oder eine inländische Sprachvariante. Und welche der inländischen Sprachvarianten. Und er braucht überhaupt keinen Text. Weshalb man weder zu seicht noch systemkritisch sein kann. Das aber sind aber jetzt reine Mutmaßungen des Autors, der Wessie ist. Leute, die selbst in einem sozialistischen System groß geworden sind, können das sicher besser beurteilen.
Das Repertoire der frühen Jahre
Viele jugoslawische Beat- und Rockgruppen haben nie Platten aufgenommen. Und bei denen, die es getan haben, ohne dass es Hits geworden wären, ist es nicht leicht, davon zu erfahren.
Jugoslawien war auf seine eigene Weise sozialistisch. So gab es viele Freiräume und auch mehrere Plattenfirmen. Und verschiedene Musikzeitschriften (denen mitunter Folienschallplatten verschiedener Gruppen beilagen), die meist nur eine kurze Lebensdauer hatten.
Es gibt also keine zentrale Stelle an der man solche Informationen finden könnte. Es ist also nicht eben leicht, das Repertoire der frühen Jahre zu ermitteln. Einen guten Anhaltspunkt gibt aber die schon erwähnte kroatische 6er-CD-Box „Kada je rock bio mlad“ (Als der Rock jung war“).
Auf ihr der sich Coverversionen von „My Generation“ (gespielt von „Zlatni akordi), „Sha la la lee“ (Unter dem Titel „Tvoj rodjendan“, also: „Dein Geburtstag“ von „Siluete“ gespielt), „Johnny B. Goode“ („Bleib stehen Johnny“ bzw. „Stoj Dzoni“ ) und „Vule bule“ (laut lesen, dann merkt man von selbst, um welches Lied es geht) finden.
Daneben lassen auch die damals erschienenen Singles Rückschlüsse auf das Repertoire zu. Da gab es Coverversionen von Beatles-Songs ( zum Beispiel „Michelle“ von Alenka Pinteric aus Maribor, die ansonsten eigentlich eher Soul sang) oder von Sonny & Cher’s „I got you Babe“ (gespielt von den „Flammenden 5“ so die Übersetzung von „Plameni 5“).
Manchmal wird man aber den Verdacht nicht los, dass manche Dinge erst mit Zeitverzögerung geschahen. Was dazu führte, daß der Beat in seiner ursprünglichen Form noch länger modern blieb als anderswo. So nahmen die „Roboti“ („Roboter“) aus Zagreb ihre Coverversion von „A Taste of Honey“ erst 1967 auf. Zu einer Zeit also, als anderswo schon eher die psychedelische Richtung angesagt war.
Eher auf der Höhe der Zeit waren da die „Daltoni“ („Daltons“) aus Nis. Diese spielten bei einem Konzert im selben Jahr in Belgrad nämlich die erste Hälfte des Auftritts nur Material von „Sergant Pepper“. Womit sie eigentlich auch die Behauptung Lügen straften, daß mit „Sergant Pepper“ die Musik der „Beatles“ so komplex geworden sei, daß sie auf der Bühne nicht mehr zu spielen gewesen wäre.
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