In der Rubrik „Jugoslawien auf Schusters Rappen“ laden wir Sie zu einer Reise (meist) zu Fuß durch das Jugoslawien der ausgehenden 1930er Jahren aus der Sicht von neugierigen Nordeuropäern ein. Dadurch entsteht gleichzeitig eine Bestandsaufnahme des unterschiedlichen Alltagslebens in den verschiedenen Gebieten des Königreichs Jugoslawiens kurz vor seiner Auflösung im Zweiten Weltkrieg und vor der Wiedergründung des südslawischen Staats unter ganz anderen politischen Vorzeichen nach Kriegsende. Basis dieses Berichtes ist das Buch „Die goldene Triangel“ von Pieter Vervoort aus dem Jahr 1941.
Kroatien, ein Land mit vielen Facetten
Die Beschreibung Sloweniens in diesem Buch ist relativ kurz und zeichnet das Bild eines recht homogenen Landes. Dies ist anders bei Kroatien, dessen Darstellung breiteren Raum einnimmt und sowohl die panonische Ebene, wie das großstädtische Gepräge Zagreb, die Einöde der Karstlandschaften und den Zauber des Küstenstreifens umfasst.
Die Beschreibung der Hauptstadt Zagreb (die Vervoort mit ihrem kroatischen Namen bezeichnet, während die bunte Landkarte zu Anfang des Buches die damals in Deutschland übliche Bezeichnung „Agram“ verwendet) ähnelt im Grundton derjenigen von Ljubljana:
Große Parks und breite Straßen, immer wieder öffnen sich die Häuserzeilen für üppige grüne Gärten. Vor dem schönen Palais der Jugoslawischen Akademie der Wissenschaften und Künste, die der große Bischof Stroßmayer gründete, bleiben wir stehen und ich halte eine Ansprache an Madame.… Nein schau dich nur um! Schaut diese schönen Paläste, die alten Kirchen und Patrizierhäuser! Und sieh drüben die gotischen Türme der Kathedrale schlank und gen Himmel ragen! Und dann die vielen Museen und Bibliotheken hier in der Stadt…
Schweigende Gastgeber in der öden Karstwüste
Auf der Wanderung zur Adriaküste eröffnet sich dann der Blick in eine völlig andere, wüste und öde Welt. Dieser führt nämlich durch Karstgebirge, die der Autor so beschreibt
Der lange, lange Weg durch die endlos steinerne Einsamkeit des Karstes. Weißer harter Stein, der deine Füße trägt; hoch getürmter, wild zerrissener Fels, kreidig weiß die Augen schmerzt. Wie in einem unendlich wogenden Meer von Stein treibst du dahin. Und kein Vogelruf, nicht des Wassers munterer Lauf. Kaum ein paar Wacholderbüsche, die dich mit kümmerlichen Grün beglücken; ein paar dürre Disteln zwischen Steinen, die ihre traurigen Blüten vergeblich dir entgegenhalten.… Nur der Himmel über dir ist still und voll schönen Lichts. Doch er ist zu heiter hier über der Welt unsagbare Melancholie, zu leicht für deines Herzens Schwermut.
Wir haben noch nie mehrtägige Wanderungen durch den Karst gemacht, sondern nur Fahrradtouren auf den Inseln durch diesen Landschaftstyp und fanden diese Beschreibung absolut zutreffend. Vor allem der Kontrast zwischen der Trostlosigkeit der Landschaft und heiterem Himmel ist gut beschrieben.
Vervoort vergleicht diesen Himmel mit demjenigen über der finnischen Tundra und über den Mooren in Lappland, der „Himmel voller Urgewalt, noch der Himmel vom Morgen der Schöpfung“ sei. Und meint dann:
Nein, hier (gemeint: im kroatischen Karst) sollte der Himmel schwer und drohend sein, er müsste drückend auf dir lasten: das Herz, von Himmel und Erde wie von einer harten Schale umklammert, würde es wohl leichter ertragen. (S. 39).
Fast beklemmend ist die Schilderung der Suche nach einer Übernachtungsmöglichkeit in dieser steinernen Welt:
Am Abend klettern wir über einen Felsen weiter hinauf und halten Umschau, wo wir wohl bleiben können über Nacht… Oder wir steigen tief zu einer Schlucht hinab, dort in einem einsamen kleinen Hirtenhaus um Rast zu bitten bis zum nächsten Tag. Ein Steinhaufen, scheinbar lose aufeinandergelegt die Steine der Wände, auch das Dach von Stein, so steht die Hütte da inmitten dieser Welt von Stein – dass hier Menschen wohnen! Klein und armselig ist die Stube drinnen, der große offene Herd von Stein, ein Tisch und zwei schmale Bänkchen mit Sitzen geflochten aus Stroh.
In stummen Verwundern schauen uns die Menschen an. Sie stehen auf, und ihre Blicke begegnen unseren. Schweigend stehen wir in der Tür und sehen in diese Gesichter hinein, die der Landschaft gleichen, darin zu leben. So stehen wir uns eine Zeit lang reglos gegenüber. Glimmt nicht ein Lächeln auf seltsam stillen Gesichtern wie von Krippenfiguren? Ich vermeine es in dem meinen zu spüren, ein Lächeln, wie ich`s schmerzlicher wohl nicht gekannt.
Wortlos wird die Bitte um Nachtquartier genehmigt. Und ohne dass man die Möglichkeit hätte, sich zu unterhalten, muss man auch die gemeinsame karge Mahlzeit verbringen:
Dann sitzen wir mit Ihnen um den Tisch herum. Sie bekreuzigen sich und beten und auch wir legen unsere Hände ineinander. Dann langen wir zu: Brot und Milch, ein wenig Schafskäse, ein paar Löffel Grütze. Es brennt keine Lampe, nur das Herdfeuer beleuchtet flackernd das stille schöne Bild in der ärmlichen Hütte.…
Die Nacht verbringen die beide in Schafsfell gewickelt auf der Erde vor dem Kamin. Am Morgen sind sie dann alleine:
Als wir in der Früh aufwachten, weilten wir alleine, da hatten sie das Haus bereits verlassen zu ihrem Tagwerk. Auf den heißen Herdsteinen stand ein Topf mit Milchsuppe; den hatte die Frau für uns dort hingestellt. Als wir später aus der Schlucht wieder hinauf kletterten zur Straße und uns droben umwandten und noch einmal hinunter schauten auf das kleine Hirtenhaus sahen wir die Frau in der Tür stehen und uns nachwinken.
Wer heutzutage mit dem Auto an die kroatische Küste fährt, sollte diese Passagen gelesen haben, um nachvollziehen zu können, welche Entfernungen er da gerade zurückgelegt. Oder noch besser: Er sollte inmitten der Karstlandschaft von der Autobahn abfahren und den Text irgendwo am Rande einer der wenigen kleinen Straßen, die durch den Karst führen lesen. Am besten kurz vor Einbruch der Nacht!
Die Küste: Ein einziger güldener Geigenstrich
Das Bild ist ein völlig anderes sobald die Wanderer an das Meer kommen. Die Küste wird in den höchsten Tönen gelobt. Sogar von einem „Märchen in Stein“ ist die Rede. Weiter heißt es:
Still und weich wie blauer Samt lag das Meer, und der Himmel glänzte wie azurene Purpurseide. Möwen trieben ihr geflügeltes Spiel… Wie ein einziger güldener Geigenstrich ist dieses Land und seinen tausend seeligen Inseln. Die Hügel haben sich mit Wein begkränzt, mit Lorbeerbüschen, und Garten flammen rot im Purpurrand der Rosen.
An anderer Stelle vom „Tal der schönen Menschen“ nahe Dubrovnik die Rede. Weiter werden schwärmerisch die Hafenstädte Trogir und Split, Ausflüge von dort aus und das nächtliche Fischen mit Lampionen auf dem Meer vor der Insel Hvar beschreiben.
Auch das ist lesenswert, deckt sich aber an vielen Stellen mit Dingen, die man auch anderweitig über die touristischen Vorzüge Kroatiens lesen kann.
Zitieren wollen wir jedoch noch aus der Beschreibung einer üppigen Mahlzeit mit erlesenem Hummer:
Ah! Diese großen Schüsseln und Platten, diese silbernen Himmelbetten für die beiden wohlgenährten roten Kardinäle, hübsch garniert mit Petersilie und Zitronen, kleinen sauren Böhnchen und Papriakschoten.
Welch ein Unterschied zu dem Abendessen in der Hirtenhütte im Karst!
Im nächsten Beitrag nehmen wir Sie mit nach Montenegro, wo Gastfreundschaft und Blutrache gleichermaßen zuhause sind.
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