Keine gemeinsame Trauer
Eine der Besonderheiten Bosnien und Herzegowinas ist, dass in dem Land in sehr unterschiedlicher Weise der Kriegstoten der 1990-er Jahre gedacht wird.
Regional unterschiedlich, oft sogar von Gemeinde zu Gemeinde wechselnd, wird an gegnerische Kriegstote erinnert. Nicht selten wird in einem Dorf den Toten, die im Krieg auf einer Seite standen, und im Nachbardorf den Toten, die auf der anderen kämpften, gedacht.
Distrikt Brčko: In vielen Dingen anders
Der „Distrikt Brčko“ ist in vielerlei Hinsicht ein besonderes Gebiet in Bosnien und Herzegowina.
Dies beginnt bereits bei der amerikanisch beeinflussten Bezeichnung als „Distrikt“, die auf den besonderen Status zurückgeht. Die Ursachen dafür liegt im Kriegsverlauf: Brčko wurde während des Krieges vehement und unter erheblichen Blutzoll, auch der Zivilbevölkerung, umkämpft.
Da deshalb keine der Kriegsparteien auf die Stadt verzichten wollte, wären die Friedensverhandlungen von Dayton beinah an der Frage, wem Brčko in Zukunft gehören sollte, gescheitert. Deshalb vertagte man damals die Entscheidung über den endgültigen Status der Stadt und übertrug sie einem Schiedsgericht, das entscheiden sollte, nachdem sich die Dinge beruhigt hatten.
Da das Schiedsgericht jedoch fürchtete, dass eine Entscheidung die nationalen Leidenschaften wieder aufflammen lassen würde, traute es sich jahrelang nicht, eine Entscheidung zu fällen.
Als sich dann eine solche nicht mehr vermeiden ließ, griff man zu einer salomonische Lösung: Vereinfacht gesagt ging diese dahin, dass Brčko „allen und keinem“ gehören sollte.
Drei Denkmäler im Umkreis von 500 Meter
Im Ergebnis führte dies dazu, dass die Stadt heute weitgehend selbstverwaltet ist. Vielleicht ist es gerade dieses „kommunale Element“, das zu einer weiteren Besonderheit führt:
Auch in Brčko wird der Kriegstoten (leider) nicht gemeinsam, sondern, nach Nationalitäten getrennt, mit gesonderten Denkmälern gedacht.
Anderswo in Bosnien und Herzegowina wäre es jedoch kaum vorstellbar, dass sich drei so unterschiedliche Mahnmale nicht nur im selben Ort, sondern auch relativ nah beieinander zu finden sind.
- Wer vom Fluss her kommt, sieht zuerst das Denkmal, das den Kämpfern der Armee der Republik Bosnien und Herzegowina, gewidmet ist .
- Nur wenige Meter davon entfernt befindet sich das Mahnmal für die Infanteristen des „Kroatischen Verteidigungsrates“.
- Etwas weiter davon entfernt, durch die belebte Hauptstraße getrennt, findet sich dann ein serbischen Kriegsteilnehmern gewidmetes Denkmal.
Unterschiedliches Design
Die Denkmäler unterscheiden sich im Design und in der Wortwahl. Zu beiden kann man sich lange Gedanken machen.
Beispielsweise, warum im einen Fall eher auf heroische Ästhetik, wie man sie aus sozialistischer Zeit kennt, zurückgegriffen wird:
Während in den anderen beiden Abstraktheit vorherrscht:
Für diejenigen, die der Landessprache nicht mächtig sind, nur schwer erklärbar, sind auch die sprachliche Details.
So ist auf dem Denkmal für die Toten aus den Reihen der Armee der Republik Bosnien und Herzegowina („šehidama i pogunilim borcima Armije BiH“) von Schechiden, also eigentlich Märyrern für den Islam, die Rede. Danach wird das Wort „poginuli“ gebraucht, das im alten Testament der Bibel für „Erschlagene“ steht.
Das Denkmal für die serbischen Kämpfer dagegen ist den „srpskim braniteljima Brčkog“, also „den serbischen Verteidiger von Brčko“ gewidmet. Und auch die toten Kroaten werden auf dem für sie errichteten Mahnmal als „Verteidiger“ bezeichnet („pogunilim braniteljima Brckog 108 piesačke brigade HVO-a„).
Für den einen Verteidiger, für den anderen Kämpfer
Wer diese Denkmäler im Rahmen einer Führung in der Landessprache/den Landessprachen erläutert bekommt, kann, wenn er genau hingehört, noch eine andere Beobachtung machen:
Die Fremdenführer fühlen sich nämlich an die Wortwahl der Denkmäler nicht gebunden. Und so werden dann aus „Verteidigern“, schon mal „Kämpfer“.
Das Wort „Angreifer“ nimmt jedoch keiner in den Mund. Was hier schon etwas bedeutet.
Und die zivilen Opfer?
Von zivilen Opfern ist auf allen drei Denkmälern allerdings nicht die Rede.
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