Jugoslawien reloaded 2015: Totgesagte singen länger

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Kein Papiertiger: Genosse Tito auf der Papiertüte des Shops des Museums der Geschichte Jugoslawiens (Papiertüte vom Juni 2016)
Alle waren Jugos, viele wollen es nicht gewesen sein

Das ehemalige Jugoslawien als Staat ist seit etlichen Jahren nicht mehr existent. Allerdings wird die Erinnerung daran noch  von vielen Bewohnern des früheren gemeinsamen Staates gepflegt – auch wenn dies ihren, inzwischen auch nicht mehr so neuen Regierungen nicht unbedingt gefallen dürfte.

Dabei hat man sich lange sprachlich hinter Begriffen wie „Region“, „einheimisch“ oder „ehemaliger Staat“ versteckt. In jüngster Zeit hört man jedoch wieder zunehmend das lange verpönte Wort  „Jugoslawien“, nicht nur in Unterhaltungen, sondern auch in Medienberichten und sogar in Liedern.

Kroatisch-serbisches Duo besingt Jugoslawien als Metapher für Scheitern von Beziehungen

So brachten die kroatische Sängerin Ana Bebić und ihr serbischer Kollege Željko Vasić im Jahr 2015 ein gemeinsames Lied mit dem Titel  „Jugoslavija“ heraus. Dieses Lied ist eigentlich keine direkte Reminiszenz an den früheren Staat, sondern ein Liebeslied.

Jugoslawien taucht erst im Refrain auf:

Naša ljubav je raspala kao Jugoslavija

(Unsere Liebe ist zerfallen wie Jugoslawien)

Jugoslawien ist hier also ein Synonym für das Scheitern von Beziehungen. Beide Interpreten  haben den „ehemaligen Staat“ übrigens nur mit KInderaugen sehen können. Vasić ist 1979 geboren, Bebić sogar erst 1986.

Spot mit Interpretationsmöglichkeiten

In dem Spot zu dem Lied, das musikalisch eher ein Pop-Federgewicht ist, finden sich weitere Bezüge zum real existierenden Jugoslawien, so adrette junge Pionierinnen, die im Background tanzen.

Auch wenn das Lied nicht politisch ist: Das Scheitern der Beziehung zwischen den Interpreten wird darin offensichtlich bedauert. Da liegt es nicht ferne, diese Trauer auch auf das Auseinanderfallen des Staates zu beziehen. Was nicht unbedingt der politischen Korrektheit entspricht, wenn einem im  Heimatland der Stolz über die eigene Staatlichkeit tagtäglich auf jede erdenkliche Weise entgegenschwitzt.

Amadeus, ohne Mozart, aber Rammstein läßt grüßen

Wesentlich eindeutiger ist da das gleichnamige Lied der Amadeus Band aus Serbien.

Es ist nichts anderes als eine explizite Hymne an die verlorene gemeinsame Heimat. Der Spot auf You Tube beginnt bereits unmissverständlich mit Aufnahmen von Paraden und der früheren Nationalhymne als Instrumentalintro.

Ebenso eindeutig ist der Text:

 Još te ima u meni…./

sanjam tvoje oči u boji Jadrana

naša je velika ljubav, k’o Rusija bila

jaka i lepa k’o stara Jugoslavija

 

(In mir gibt es Dich noch… /

Ich träume Deine Augen in der Farbe der Adria/

du warst unsere große Liebe, stark und schön wie Russland,

das alte Jugoslawien)

Für Kenner: Eine musikalische Wundertüte

Das Lied hat nur drei Strophen und einen Refrain. Jugo-Rockexegeten können jedoch  Stunden damit verbringen, die Querverweise, Anspielungen und Zitate in Text und Musik herauszufinden.

Umgekehrt bleibt auch bei den entsprechenden Sprachkenntnissen manches unverständlich, wenn man nicht das entsprechende Hintergrundwissen vor allem aus den achtziger Jahren hat: Dann bleiben beispielsweise die „nackte Frauenschultern, die eine  Million Rubel wert sind „ unverständlich.Das ist ähnlich wie bei „All Summer Long“ von Kid Rock: Wer „Sweet Home Alabama“ nicht kennt, verpasst einen wesentlichen Aspekt des Liedes.

Die Songs , die von der Amadeus Band, hier textlich zitiert oder musikalisch angespielt werden, dürften jedoch die meisten volljährigen Ex Jugoslawen und auch Diaspora-Jugos kennen. Diese Zwischentöne dürften also bei den meisten Hörern  ankommen.

Video-Spot mit mehreren Ebenen

Sehenswert auch der offizielle Spot. Der Anfang mit den Rammstein-artigen pyrotechnischen Einlagen ist vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig und auch das Macho-Outfit und -Gehabe der Gruppe.  Mit letzterem steht man jedoch in der Tradition von Bands  wie Divlje Jagode.

Es lohnt sich auch, den Musikern über die Schulter zu schauen. Hinter diesen werden nämlich Filmszenen aus jugoslawischen Zeiten projiziert.

Und auch Anspielungen auf die gegenwärtige politische Situation finden sich dort. Bei der Zeile, in der davon die Rede ist, dass nachts viele Wölfe herumstreifen (2:43), erkennt der aufmerksame Betrachter Wladimir Putin der – natürlich ohne Schutzhelm – auf einem schweren Motorrad ( vermutlich kein russisches Modell) cruised.

Noch bevor man das Video das erste Mal zu Ende geschaut hat, bekommt der Refrain Ohrwurm-Charakter:

Sarajevo, Zagreb, ne spava ni Beograd
nismo vise zajedno sad prica ceo grad

Sarajevo, Zagreb und auch Belgrad schlafen nicht/die ganze Stadt erzählt davon, dass wir nicht mehr zusammen sind

Wort zur Vergangenheit oder zur Zukunft

Wenn man dann denkt, das Lied sei schon zu Ende, meldet sich im Abspann „his Majesty“ – Verzeihung: Genosse Josef Broz Tito – in Wort und Bild:

Jeder unserer Republiken wäre ein Nichts und ein Niemand,

wenn wir nicht alle gemeinsam wären

War das das Wort zur Vergangenheit oder zur Zukunft?

Egal: nochmals eine Runde:

Sarajevo, Zagreb, ne spava ni Beograd
nismo vise zajedno sad prica ceo grad

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