
Als Fiction würde es keiner glauben
Wenn das einem Buchverlag als Plot für einen politischen Thriller angeboten worden wäre, hätte er vermutlich abgelehnt: Zu hanebüchend wäre dem Lektorat die Handlung erschienen, in der ein südosteuropäisches Land, das um den Titel des ärmsten Landes Europas konkurriert, im Mittelpunkt steht.
In diesen herrscht seit etlichen Jahren eine Koalition, deren Hauptpartner eine national gesinnte Partei ist. Diese bringt unter anderem ein groß angelegtes Projekt auf den Weg, bei dem die Hauptstadt trotz klammer Staatskassen und mit einem enormen finanziellen Aufwand historisiert wird. Außerdem halten sich beharrlich Gerüchte, nach denen die Justiz beeinflusst und unter anderem dazu missbraucht werden soll, missliebigen Journalisten deutlich die Grenzen aufzuzeigen.
Dies und weitere Umstände, wie ethnische Konflikte, Gerüchte über Wahlmanipulationen, Demonstrationen, bei denen ein Demonstrant von einem Polizisten getötet wird, und kriegsähnliche Auseinandersetzungen der Sicherheitskräfte mit bewaffneten Mitgliedern der nationalen Minderheit führen zu einer angespannten Situation im Land. Als dann noch massenhaft Mitschnitte abgehörte Telefongespräche veröffentlicht werden, droht die Situation gänzlich aus dem Ruder zu laufen.
Vorgezogene Neuwahlen und Sonderstaatsanwaltschaft als möglicher Ausweg aus der Krise ?
Deshalb drängen die EU und die USA auf vorgezogene Neuwahlen. Vor diesen soll der bisherige Präsident zurücktreten, was er auch dann tatsächlich tut.
Gleichzeitig wird eine Sonderstaatsanwaltschaft eingerichtet, die die Abwehraffäre aufklären soll. Diese nimmt, trotz Anfeindungen durch die regierungsnahe Presse und wenig kooperatives Verhalten der Behörden, die Arbeit auf und ermittelt gegen Politiker und Beamte.
Darüber hinaus müssen die vorgezogene Neuwahlen verschoben werden, da ein Abgleich der Wählerlisten mit dem Datenbestand sonstige Behörden zahlreiche Ungereimtheiten ergeben hat.
Das Verfassungsgericht entscheidet in einer heiklen Frage
Gleichzeitig liegt dem Verfassungsgericht seit längerer Zeit ein Antrag vor, mit dem das Gesetz über die Begnadigung für verfassungswidrig erklärt werden soll. Dieses Gesetz schränkte gegenüber der vorherigen Regelungen das Recht des Präsidenten zur Begnadigung dadurch ein, dass eine Begnadigung bei einigen Delikten – darunter auch das unerlaubte Abhören von Telefongesprächen -nicht mehr zulässig sein sollte.
Wie der Zufall es will, entscheidet das Verfassungsgericht über diesen Antrag während dieser ganzen Wirrnisse – und erklärt das Gesetz tatsächlich für verfassungswidrig.
In anderen Rechtssystemen hat eine solche Entscheidung zur Folge, dass dem Parlament eine Frist, innerhalb deren es ein neues, verfassungsmäßiges Gesetz erlassen muss, gesetzt wird. Hier ist es so, dass an Stelle des für nichtig erklärten Gesetz das frühere wieder in Kraft tritt.
Dieses aber gestattet eine Begnadigung auch beim illegalen Abhören von Telefonaten. Außerdem ist eine Begnadigung nach diesem Gesetz schon vor der Verurteilung, also im laufenden Ermittlungsverfahren, möglich.
Übergangspräsident nutzt dies
Jetzt könnte man erwarten, dass der eben erst eingesetzte Übergangspräsident von dieser ihm überraschend zugeflossenen Kompetenz schon deshalb keinen Gebrauch macht, weil er das Ansehen des Verfassungsgerichts nicht dadurch gefährden möchte, dass der Anschein entsteht, dass es bewusst ins aktuelle politische Geschehen einzugreifen und zudem auch noch die Sonderstaatsanwaltschaft zu behindern.
Den Übergangsstaatspräsidenten in dem Romanentwurf fechten solche Überlegungen jedoch nicht an. Tatsächlich machte er umgehend von seiner neuen Kompetenz Gebrauch und begnadigt fast sechzig Personen (Politiker und Staatsangestellte), denen die Sonderstaatsanwaltschaft illegales Abhören vorwarf. Zur Begründung lässt der Übergangspräsident verlauten, dass er „sein verfassungsmäßiges Recht deshalb ausgeübt habe, weil er dadurch die politische Krise überwinden wollte„.
Politische Gegner treffen sich nur im Ausland
Die politischen Verhältnisse in dem Land sind mittlerweile so auf dem Tiefpunkt, dass sich die Vertreter der verschiedenen Parteien zu Gesprächen nicht im Land selbst, sondern in Wien treffen.
Spätestens hier wird er einen Lektor das Exposee vermutlich aus der Hand legen und überlegen, wie er das Absageschreiben an den Autor möglichst höflich formuliert.
Wirklichkeit komplexer und trauriger als Phantasie
Bereits das ist eine traurige Geschichte. Noch trauriger wird es jedoch dadurch, dass es sich bei den geschilderten Vorkommnissen nicht um die ins Kraut geschossen Fantasie eines Autoren handelt, sondern um die (noch dazu: vereinfacht dargestellte) Wirklichkeit in Mazedonien.
Die genannten Gespräche in der österreichischen Hauptstadt sollen am Freitag, dem 22. April stattfinden. Es steht zu hoffen, dass die deutschen Medien darüber berichten – insbesondere auch dann, wenn sie, was sich derzeit abzeichnet, nicht stattfinden sollten.
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