Bosnien und Herzgowina für 25 Jahren (Teil 3: Trauriges Wiedersehen mit Sarajevo)

Vor fünfundzwanzig Jahren wurde das Friedensabkommen von Dayton, das den Krieg in Bosnien und Herzegowina beendete, abgeschlossen. Was war das damals für ein Land? Wie lebte es sich dort, wo keine unmittelbaren Kriegshandlungen stattfanden.

Wir waren damals mehrfach dort und haben hier einige Impressionen zusammengestellt.

Sarajevo: In den 1980ern Musikhauptstadt Jugoslawiens

Durch eine Laune des Schicksals wurde Sarajevo zu einer zentralen Stadt für mich in den 1980ern: Mit dem Fahrad zu Vrelo Bosne oder „hinten hinaus“ aus der Stadt durch die heutige Aleja ambasadora (Allee der Botschafter), Fußballspiel Sarajevo gegen Zenica im Stadion im Stadtteil Grabavica, Rockkonzerte in der Skenderija und ebenso mitreißende Musik von elektrisch verstärkten Volksmusikbands, deren ausladende Instrumentalparts Emerson, Lake & Palmers vor Neid erblassen lassen hätten.

Dann der Krieg: Fernsehbilder, die man nicht glauben mag, brennende Häuser und Leichen in Straßen, durch die man in warmen Sommernächten in fröhlicher Stimmung gezogen war, abgebrochene Kontakte (und hinterher Informationen, welche unerwarteten Wege manche der damaligen Bekannten gegangen sind).

Bus als einzige Verbindung zur Außenwelt

Das erklärt vielleicht, warum ich die erste Gelegenheit nutzte, wieder dorthin zu kommen im Januar 1996, als das Friedensabkommen in Dayton unterschrieben, aber noch nicht ratifiziert war. In Mostar lasse ich das Auto stehen und fahre mit dem einzigen Bus, der damals am Tag nach Sarajevo fuhr.

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Im Geldbeutel habe ich eine Adresse und im Herzen die Hoffnung, dass die Worte des bosnischen Flüchtlingsfreundes in Nürnberg ernst gemeint waren: „Meine Mutter und mein Stiefvater wissen dass du kommst und sie freuen sich auf Dich. Budi bez brige (Sei ohne Sorge)“.

Die Busfahrt ist abenteuerlich. Zerstörte Brücken müssen weitläufig über sogenannte „bai pasi“ umgangen werden. Meist geht es in Serpentinen hinunter zu dem Bett des Flusses, der überunden werden muss, dann dort über eine Behelfsbrücke und dann wieder im Zick-Zack auf einer behelfsmäßigen Schotterpiste nach oben.

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Das ist jedes Mal ein Geschaukel und man wundert sich, was so ein schwankender Reisebus alles aushält, ohne umzukippen. Bei der Überquerung von Pontonbrücken müssen die Fahrgäste aussteigen und am Ende mit aufpassen, dass der Bus nicht aufliegt.

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In Sarajevo dann Zweifel. Es ist Winter, Schnee liegt, kalt. Wo hin, wenn das „Budi bez brige“ nur so hingesagt war?

Eine Stadt noch im Belagerungszustand

Die Stadt wirkt unwirtlich. Überall finden sich noch Barrieren und Sandsäcke, die vor den Schüssen der Scharfschützen, die von den Bergen aus gezielt die Bevölkerung beschossen, schützen sollen.

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Der Bus hat zwanzig Minuten Aufenthalt. Ich hätte Zeit, zu überlegen. Soll ich nicht besser wieder einsteigen?

Nichts da, ich bin wieder in Sarajevo und irgendwas wird sich finden. Ich mache mich zu Fuß durch matschigen Schnee auf den Weg.

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Wenig später überholt mich der Bus mit dem ich gekommen war, ich schaue zu wie er unweigerlich kleiner wird als er auf der langen Ausfallstraße zurück nach Mostar fährt.

Es ist gar nicht so einfach, das Ziel zu finden. Der PLatz, zu dem ich muss, ist nicht das Problem, aber die Hausnummer. Aber irgendwann stehe ich in dem dunklen Hausflur des richtigen Hauses am Trg ZAVNOBiH vor der – hoffentlich ebenfalls richtigen Wohnungstüre und klingele. Mehrfach!

Vergeblich! Ich hätte es wissen können! Was jetzt?

Aber halt, höre ich da nicht Geräusche aus der Wohnung? Ich versuche es mal mit Klopfen. Und sofort wird es hinter der Türe lebendig!

Auf die Idee, dass nach drei Jahren Krieg auch einmal eine Türklingel ausfällt, hätte ich eigentlich selbst kommen können.

Die Tür öffnet sich und eine alte Frau nimmt mich in den Arm, so als wäre ich einer ihrer Söhne oder Enkel. Im Wohnzimmer sitzt ein beindruckender Alter, der Stiefvater, der ebenfalls nicht erkennen lässt, dass wir uns noch nie im Leben gesehen haben.

Obwohl, etwas ist auffällig: Die beiden sprechen sehr bedächtig mit mir ud schauen mich nach jedem Satz fragend an. Als sie merken, dass ihr Sohn nicht übertrieben hat, was meine Sprachkenntnisse angeht, fallen die sprachlichen Rücksichten allerdings schnell. Der Alte wird mitunter so munter darauf losplaudern, dass ich wirklich nur die Hälfte verstehe. Was auch daran liegt, dass er im Eifer der Erzählens dazu neigt zu Nuscheln und außerdem reichlich von Turzismen Gebrauch macht

In den nächsten Stunden (in denen es angesichts der allgemeinen Umstände auch erstaunlich viel zu essen gibt) muss ich zuerst meine Familiengeschichte, dann meine eigene Biografie (ich glaube, es war wirklich in dieser Reihenfolge) offenlegen und dann vom Sohn, der Schwiegertochter und – vor allem – von den Enkeln meiner Gastgeber und deren Leben in Franken erzählen. Was die Enkeln angeht, gestaltet sich das etwas schwierig, weil ich diese nur ein zweimal gesehen habe.

Offensichtlich gelingt es mir, die Kernbotschaften zu vermitteln: Keiner hungert, die Familie hat auch deutsche Freunde und die Enkel sprechen besser Hochdeutsch wie die meisten fränkischen Kinder in ihrer Klasse.

Es wird ein langer Abend, bei dem ich noch keine Chance habe, meine Fragen zu stellen.

Ich schlafe auf der Couch im Esszimmer, das eigentlich ein Diele ist. Außer diesem Raum gibt es noch die Küche und das Wohnzimmer, das gleichzeitig auch das Schlafzimmer ist.

Gefährliches Heizungssystem

Geheizt wird die Wohnung mit offenem Gas. Nein, ich habe mich nicht verschrieben. Das System der Fernwärme, das hier hier, im ehemaligen olympischen Dorf perfekt funktioniert hat, ist kriegsbedingt zusammengebrochen. Nun heizt man mit Gas, das über einen (Garten?) Schlauch in ein Behältnis geführt wird, das aussieht, wie ein abgesägter Boiler im Bad.

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Brandgefährlich diese Sache, aber es hält warm. Durch die geöffnete Türe zum Wonzimmer höre ich die beiden alten Leute schlafen.

Der Tag war lang, das Essen gut. Mitten in der Nacht fordert der Darm seinen Tribut. Natürlich geht die Spülung nicht. Ich bin inzwischen erfahren genug, um sofort nach den Kanistern und Kannen zu schauen, in denen sich das Wasser für solche Fälle befindet.

Der Schlaf wurde nochmals unterbrochen, weil sich die Wohnung im ersten Stock über einem provisorischen Gebetsraum befand. Diese hatte zwar kein Minarett, aber eine Lautsprecherbox, die sich an der Außenwand oberhalb des Erdgeschosses, also direkt unter den Fenstern im ersten Stock, befand.

Diese Fenster hatten keine Scheiben mehr. Die waren irgendwann durch die Druckwelle einer der vielen Granaten zu Bruch gegangen. Jetzt befand sich dort eine der sehr dicken Plastikfolie mit UN-Emblem, die man damals überall im Lande fand. Eine geniale Sache, wenn es um den Schutz vor Wind und Wetter ging. Schalldämmung gehört jedoch nicht zu den Eigenschaften dieses Materials.

Anderntags dann, nach einem Frühstück, bei dem ich mehrfach gefragt werde, ob wirklich alles in Ordnung war, mache ich mich auf den Weg nach Sarajevo. Immer noch ängstlich wegen der Veränderungen und Spuren des Geschehenen, die ich finden könnte (und auch fand), aber inzwischen sorglos, was mich selbst angeht.

Ich war in Sarajevo gut angekommen und herzlich aufgenommen worden. Ich hatte ein Dach über den Kopf und wenn irgendetwas problematisch werden sollte, jemanden, auf den ich verweisen konnte.

UN zeigt Präsenz

Beruhigend auch, dasss niemand mit einem Wiederaufflammen von Kampfhandlungen zu rechnen schien.

Sicher auch, weil man regelmäßig UN-Soldaten patrollieren sieht. Ein Anlass für ihre Fahrten ist nicht ersichtlich. Fast habe ich den Eindruck, sie ziehen vor allem ihre Runden, um gesehen zu werden.

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Einmal sehe ich sogar eine Gruppe von UN-Soldaten, die beim morgendlichen Sport in Trainingsanzügen und unbeaffnet durch die Straßen joggt. Vermutlich auch das ein bewußtes Manöver um die Bevölkerung zu beruhigen. „Seht her, so sicher ist es hier“ scheint die Botschaft zu sein.

Kunst in zerstörten Hallen

Ich erkunde Sarajevo. Zuerst erregen die Zerstörungen des Krieges meine Aufmerksamkeit. Dererlei war man zwar gewohnt, wenn man in der ersten Hälfte der 1990er in Bosnien und der Herzegowina reiste, aber es berührte einen immer noch, besonders, wenn es sich um bedeutende historische Gebäude wie die Hauptpost in Sarajevo handelte.

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Aus diesem Gebäude hatte ich vor wenigen Jahren nach meiner Ankunft in Sarajevo einen Freund angerufen und dann davor auf ihn gewartet. Die Sonne schien, es war Sommer und die Welt schien friedlich und perfekt. Und jetzt sah es hier so aus.

Zur Verwunderung und Trauer gesellte sich Bewunderung und Optimismus. Anlass war eine Kunstausstellung, die man in der Ruine dieses Gebäudes veranstaltete.

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Einblick in die internationale Dosenvielfalt

Mitten zwischen den Wohnhochäusern, die als Teil des Olympischen Dorfes erbaut wurden, finden sich Müllhalten. Wo hätte man auch anders hingesollt mit dem Abfall, während der Belagerung?

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Wer sich für Dosennahrung aus allen Teilen der Welt interessiert, kann hier Studien treiben. Da man sich zu einem Großteil aus Hilfslieferungen aus aller Welt, bei denen viele Nahrungsmittel in Dosen verpackt waren, ernährte finden sich hier die Bleckverpackungen von Fertiggerichten aus verschiedenen europäischen Staaten, den USA, aber auch der Türkei und aus arabischen Ländern.

Abende mit Gespächen und „Tavla“

 

Meine Gastgeber befragten mich beim Abendessen im Schein der offenen Heizungsflamme jeweilig ausgiebig nach meinen Eindrücken und Erlebnissen. Vom Krieg erzählte es nur beiläufig und wenn, dann vom Schicksal anderer. Dass er bei ihnen ebenfalls Spuren hinterlassen hatte, wußte ich, weil wir in Hörweite voneinander schliefen.

An den Abendessen und beim Frühstück aber war vor allem der Stiefvater ein Ausbund an Energie und äußerlich unbeeindruckt von den Ereignissen.

Er wa Kommunist, lange bevor das Land kommunistisch wurde, war wegen irgendeiner Sache mit einer Untergrunddruckerei im Gefängnis, ist wohl nur kanp an der Hinrichtung vorbeigeschlittert und wurde später, zu Titos Zeiten, Direktor einer Druckerei.

Und auch heute noch lebte er mit und inmitten von Druckwerken. Nicht nur, dass das Wohn/Schlafzimmer eine beindruckend überfüllte Bücherwand besass, sondern auch das Sofa, auf dem der alte Herr den Großteil seiner Tage verbrachte (und auf dem er nachts schlief) , zierte ein kleiner Hügel mit Zeitungen.

Wenn ich von meinen Erkundungen in ein gänzlich verändertes Sarajevo Zeitungen mitbrachte, konfiszierte er sie umgehend und begann, sie zu analysieren und zu sezieren. Manchen abfälligen Kommentar zu Berichten über Politiker würzte er, außer mit deftigen Flüchen, auch mit relativ konkret klingenden Hinweisen darauf, was der Betreffende früher und insbesondere während des eben zu Ende gegangenen Krieges so getrieben habe.

Gnadenlos war er auch, wenn er mich zu zu einer Partie Backgammon, das er, wenn ich mich recht erinnere „Tavla“ nannte (einem Spiel, das in Deutschland auch unter dem leicht irreführenden Namen „Puff“ verkauft wird, ) auforderte.

Da war er mir absolut überlegen. Außerdem verwirrte er mich mit merkwürdigen, für mich unverständlichen Sprüchen, die er rezitierte, während er die Felder abzählte.

Was mochten diese bedeuten? Ich fragte ihn und bekam beiläufig die Antwort: „Ich zähle wie weit ich mit diesem Wurf komme.“

Zählen? Ich versteh keinWort.“

„Ich zähle natürlich auf Arabisch“, meint er darauf: „Das macht man so, bei diesem Spiel in Sarajevo“

Kein Wunder, dass ich kein einziges Mal gewohnen habe gegen ihn!

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