„Ein Montenegriner oder Bergbewohner, der wegen einer (An)Klage bei Gericht mit einem Stein um dem Hals erscheint, wird, unabhängig davon, ob er unschuldig oder schuldig ist, körperlich bestraft.“
Das historische Strafrecht Montenegros weist aufgrund der harten dortigen Lebensbedingungen, die durch eine ständige militärische Bedrohung, aber auch Armut geprägt waren, einige Besonderheiten auf, die von vielen als kurios angesehen werden dürften.
Dazu gehört auch der oben zitierte Art. 65 des 1855 erlassenen Gesetzbuches des montenegrinischen Fürsten Danilo I Petrović Njegoš.
Was wird bestraft? Und wie?
Mit den „Steinen um den Hals“ sind sichtbar getragene Talismäner gemeint. Und die körperliche Bestrafung bestand aus mindestens zwanzig Schlägen, die an einem Markttag auf dem Marktplatz , also vor großem Publikum, vollstreckt wurden.
Das Ganze war also keine Lapallie!
Und warum?
Warum aber ließ Fürst Danilo verbieten, dass jemand einen Talisman trägt? Und warum sollte man dies nur vor Gericht verbieten?
Darüber haben sich Rechtshistoriker Gedanken gemacht, ohne jedoch zu einem einheitlichen Ergebnis zu kommen. Im Gegenteil: Die Frage ist nicht nur höchst umstritten, sondern der wissenschaftliche Streit wird auch sehr heftig ausgetragen.
Talisman als Unterwerfung und Besänftigung des Gerichts
Ilija Jelić vertritt dazu folgende Thesen:
- Beim Tragen eines Talismans während einer Gerichtsverhandlung würde es sich um einen spezifischen montenegrinischen Brauch handeln, der bei keinem anderen slawischen Volk vorkommt.
- Dieser würde ein Zeichen des Protestes gegen eine große Ungerechtigkeit, die einem zugefügt wird, darstellen.
- Gleichzeitig soll dadurch zum Ausdruck kommen, dass sich der Träger dennoch der Strafe, die das Gericht für ihn aussprechen wird, unterwirft.
- Damit gäbe es im Fall, dass die Todesstrafe verhängt würde, keinen Anlass für Vergeltung gegen die Richter im Rahmen der Blutrache. Darüber hinaus hätte, so Jelic weiter, habe Fürst Danilo dieses Gesetz erlassen, um die Würde und die Unabhängigkeit der Gerichte zu schützen.
Ausgangspunkt dieser These ist die Annahme, dass es bis zur Herrschaft von Fürst Danilo in Montenegro keine regelmäßigen ständigen Gerichte gegeben habe. Deshalb sei für jeden einzelnen Fall, insbesondere dann, wenn Todesstrafe drohte (was häufig der Fall war) ein gesondertes Gericht zusammengetreten.
Wurde die Todesstrafe dann tatsächlich verhängt, so löste dies Vergeltung durch Blutrache auch gegen die Mitglieder des Gerichtes aus. Dem wiederum versuchte man zu begegnen, indem man die Hinrichtungen von mehreren ausgeführt wurde. So sollte vermutlich erreicht werden, dass unklar blieb, wer genau den Delinquenten getötet hat.
Die Gegenthese von Svetislav Marinović
Dem widerspricht Svetislav Marinović heftig und mit deutlichen Worten („die Schlüsse von Jelic sind unbegründet und rechtshistorisch ohne Grundlage, da sie keiner ernsthaften und auf Fakten basierenden Kritik standhalten“). Weiter führt er aus, dass das Tragen eines Talismans vor Gericht überhaupt keinen allgemeiner Brauch gewesen sei, da im Laufe von 100 Jahren gerade einmal zehn Fälle bekannt wurden. Außerdem wäre dies keine spezifischen montenegrinische Angelegenheit gewesen, da man auch aus Serbien und Herzegowina solche Fälle kenne.
Besonders hart greift Marinovic die These, dass der Träger des Talismans zum Ausdruck bringen wollte, dass er sich auch einer Verurteilung zum Tode unterwerfen würde, an. Diesbezüglich konstatiert er, dass ihr „jede elementare Logik fehlen würde“, weil die bekannt gewordenen Fälle des Talismantragens alle bei Verfahren wegen leichterer Delikte, bei denen keine Todesstrafe drohte (Diebstahl und Betrug), vorgekommen seien. Ebenso habe es zum Zeitpunkt des Erlasses dieser Vorschrift bereits ständigen Gerichte in Montenegro gegeben.
Noch harscher ist seine Kritik an der These, montenegrinischen Richter hätten in der Angst gelebt, dass sie wegen Todesurteilen Gegenstand der Vergeltung durch Blutrache finden, da es Hunderte und Hunderte von Todesurteilen gegeben hätte und es kaum zu Fällen von Blutrache gekommen sei. Außerdem hätten die Richter dies bei Ausübung ihres Amtes als Berufsrisiko in Kauf genommen.
Deshalb sieht Svetislav Marinović den Grund für diese Strafvorschrift darin, dass Fürst Danilo als „typischer Montenegriner“ mit dieser „nicht erforderlichen Inkriminierung“ seinen Landleuten „ein erniedrigendes und eher loses Verhalten“ verbot.
Die Fortstezung der Rubrik „Historisches montenegrinisches Strafrecht“ finden Sie hier.
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