Überraschender Fund im Zeitschriftenregal
Wer derzeit die Läden der Bundeszentrale für politische Bildung in Berlin oder Bonn besucht, stößt im Zeitschriftenständer auf eine Veröffentlichung mit dem Titel „Jugoslawien“. Wegen des leicht ins rosa gehenden Papiers der Titelseite kann man die Broschüre leicht für ein angestaubtes Exemplar einer älteren Veröffentlichung halten.
Hundert Jahre Jugoslawien: 1918 bis 2018
Der genauere Blick zeigt jedoch, dass man es mit einer Beilage zur Wochenzeitschrift „Das Parlament“ vom Oktober 2017, also mit einer relativ neuen Veröffentlichung zu tun hat.
Der Anlass, warum der doch etwas aus der Mode gekommene Staatsname eine aktuelle Publikation schmückt, wird beim Blick in das Editorial schnell klar. Dort heißt es nämlich:
Am 20. Juli 1917 vereinbarten Vertreter von Serben, Kroaten und Slowenen in der Deklaration von Korfu, die drei Teile ihrer „dreinamigen Nation“ in einem Staat zu vereinen. Dieser wurde am 1. Dezember 1918 als Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen ausgerufen und elf Jahre später in „Jugoslawien“ (Südslawien) umbenannt
Es handelt sich also um eine Veröffentlichung aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums der Gründung Jugoslawiens bzw. seines Vorläuferstaates, des Königreiches der Serben, Kroaten und Slowenen. In Anbetracht dieses runden Geburtstages dürfte im Laufe des Jahres mit weiteren Veröffentlichungen zum Thema zu rechnen sein.
Anspruchsvolle Themen zum Nulltarif
Die Beilage zur Wochenzeitung „Parlament“ übrigens durchaus lesenswert. Dies belegt bereits ein Blick in das Inhaltsverzeichnis:
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ANDREAS ERNST: ECHORAUM, NICHT PULVERFASS: Bedenkliche Befunde zum postjugoslawischen Raum häufen sich. Aber ist die Warnung vor der brennenden Lunte am Pulverfass gerechtfertigt? Um das beurteilen zu können, ist es zunächst sinnvoll zu hinterfragen, wie sinnvoll eine Betrachtung dieser Staaten als Region ist.
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VEDRAN DŽIHIĆ: DIE NACHFOLGESTAATEN JUGOSLAWIENS ZWISCHEN EU, RUSSLAND UND TÜRKEI: In den postjugoslawischen Staaten, die noch keine EU-Mitglieder sind, sinkt die Zustimmung zur Europäischen Union. Gleichzeitig wachsen die Sympathien für Russland oder die Türkei. Die Krisen in der Region häufen sich. Welche Rolle spielt die EU in dieser Situation?
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MARIE-JANINE CALIC: KLEINE GESCHICHTE JUGOSLAWIENS: Die beiden Jugoslawien – das königliche und das sozialistische – standen vor ähnlichen Herausforderungen, wählten aber unterschiedliche Ansätze zur Herstellung nationaler Einheit. Beide scheiterten schließlich an einer wachsenden Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit.
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ANA MIJIĆ: DER BOSNISCH-HERZEGOWINISCHE NACHKRIEG: Über 20 Jahre nach Ende des Krieges ist das Verhältnis zwischen den bosniakischen, kroatischen und serbischen Bosnierinnen und Bosniern durch tiefe Gräben gekennzeichnet. Über die Verantwortung für den Krieg und die begangenen Verbrechen wird noch immer gestritten.
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TANJA PETROVIĆ: ERINNERUNGEN AN EIN UNTERGEGANGENES LAND: Im dritten Jahrzehnt nach dem von ethnischer Gewalt geprägten Zerfall Jugoslawiens wird der Vielvölkerstaat in seinen Nachfolgestaaten von offizieller Seite gerne auf ein historisches Faktum reduziert. Aber gehört Jugoslawien wirklich definitiv der Vergangenheit an?
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MARC HALDER: MYTHOS TITO: Wie wurde aus dem kroatischen Bauernsohn Josip Broz der charismatische Partisanenführer und weltweit geachtete Staatsmann Tito? Die Antwort auf diese Frage führt über den Personenkult um den jugoslawischen Staatschef, der bis heute nachwirkt.
Die Publikation kann im Internet kostenlos als PDF oder EPUB heruntergeladen werden
Balkan made easy
Auch denjenigen, die sich in einfacher Weise über das ehemalige Jugoslawien informieren möchten, hilft die Wochenzeitschrift „Das Parlament“ weiter. Für jene wurde nämlich zur Ausgabe 37 eine Beilage veröffentlicht, die den Balkan „in leichter Sprache“ erklärt.
Dort liest man dann zum Beispiel:
Viele Länder auf dem West-Balkan
gibt es noch nicht sehr lange.
Dafür gibt es einen Grund:
Früher gab es im Westen vom Balkan
das Land Jugoslawien.
Dieses Land bestand aus 6 Teilen.
Und zwar: Bosnien-Herzegowina,
Kroatien, Mazedonien, Montenegro,
Serbien und Slowenien.
In den 1980er-Jahren
gab es in Jugoslawien viele Probleme.
Die 6 Teile beschlossen irgendwann:
Sie wollen nicht mehr zu
Jugoslawien gehören.
Sie wollen stattdessen
eigene Länder sein.
Das geschah ab dem Jahr 1991.
Die Teilung verlief nicht friedlich.
Es gab mehrere Kriege.
In ihnen kämpften die Länder vom
früheren Jugoslawien gegeneinander.
Und zwar ungefähr 10 Jahre lang.
So kann man das auch sehen!
Ausblick auf kommende Publikationen zum Thema
Wie heißt es auf der Titelseite der Gitarrenschule von Peter Bursch, mit der Generationen deutscher nachgeborener Hippies gelernt haben, einigermaasssen harmonische Töne aus dem sechsaitigen Holzinstrument herauszuholen:
Von kinderleicht bis ganz schön stark.
Vermutlich werden auch die weiteren, noch zu erwartenden Veröffentlichungen zum Thema diesem Spruch entsprechen. Da wird es solche geben, die es sich und den Lesern entlang altbekannter Narrative (zu) einfach machen und solche, die an sich und die Adressaten erhebliche Ansprüche stellen.
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