Keine Pfingstrosen für den Staatsanwalt

Pfingstrosenrot – Ein Fall für Milena Lukin, Roman von Christian Schünemann und Jelena Volić, Zürich 2016

Wie in dem Reisebericht des Dänen Vervoort aus dem Jahr 1939 spielen auch hier die Pfingstrosen eine zentrale Rolle. Bei dem Buch handelt es sich um einen Krimi, der in Serbien der Jetztzeit vor dem Hintergrund des Kosovokonflikts spielt. Ein altes serbisches Ehepaar, das aus dem Kosovo geflohen war, hat sich von den Versprechungen eines Rückkehrerprogramms in die alte Heimat locken lassen und wird dort brutal ermordet. Der Verdacht fällt auf nationalistisch gesinnte Kosovo-Albaner. Jedoch werden weder von kosovarischer noch von serbischer Seite ernsthafte Ermittlungen durchgeführt.

Womit die Sache wohl sein Bewenden gehabt hätte, wenn die ermordete Frau nicht die Jugendlieben von Miodrag, dem Onkel von Milena Lukin, gewesen wäre. Milena ist Mitarbeiterin am kriminalistischen Institut, und klärt ab und zu zusammen mit dem Anwalt Siniša Stojković Morde auf. Hier ist das keine ungefährliche Sache, da es offensichtlich mächtige Personen gibt, die verhindern möchten, das diese Sache aufgeklärt wird. Dies beweist nicht zuletzt der Umstand, dass der Sohn der Ermordeten, der ebenfalls eigene Ermittlungen angestellt hat, im Laufe der Handlung erhängt aufgefunden wird.

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Das Buch, das von einem deutsch-serbischer Autorenduo geschrieben wurde (Christian Schünemann hat Slawistik studiert und Jelena Volic ist Literaturwissenschaftlerin), zeichnet auf 350 Seiten die Geschichte dieser Ermittlungen nach. Dabei beginnt es verhältnismäßig gemächlich, um am Ende an Fahrt und Spannung aufzunehmen. Was die Geschichte des Kosovoskonflikts, die politischen Rahmenbedingungen und das Verhalten mancher Protagonisten angeht, wird die Darstellung sicherlich nicht auf Zustimmung aller stoßen. Anders ist das gar nicht möglich, da kaum ein Thema (und die Fakten dazu) in Serbien so kontrovers betrachtet wird wie die Kosovo-Frage.

Davon abgesehen bietet das Buch jedoch authentische Einblicke, die heute sowohl in Serbien wie im Kosovo mit der Vergangenheit und der Gegenwart umgegangen wird. Hier reicht die Spanne von Pragmatismus und Selbstkritik bis hin zu Fanatismus und dem Versuch, aus der Situation auf illegale Weise Profit zu schlagen. Die „Moral von der Geschichte“ ist, dass sich eine Struktur von eine politische Elite gebildet hat, die durch Skandale allenfalls dazu gezwungen werden, für einige Zeit auf einen unnattraktiver Botschafterposten zu wechseln, aber ansonsten unbeschadet überstehen.

Einige Dinge hätte man allerdings besser recherchieren können: So kann der deutsche Botschafter in Serbien die Leitung der deutschen Unterstützung der Justizreform in Serbien nicht einfach nach Gutdünken an eine seines Erachtens geeignete serbische Kriminologin vergeben (so aber auf S. 267) und in Serbien ist es – übrigens dank deutscher Unterstützung im Justizbereich – nicht möglich, die Vollmacht für den Verkauf eines Grundstückes einfach so auf einem „Zettel“ zu erteilen, und so alte Damen um ihren Grundbesitz zu bringen (wie dies aber aus S. 311 unterstellt wird).

Seine Stärke hat das Buch dagegen in der Beschreibung des Alltaglebens in Serbien (die ähnlich auch auf andere Ex-YU-Staaten anwendbar wäre): Frauen, die ihre Väter enttäuschen, weil sie Karriere machen („Ich bin keine Lehrerin geworden, und ich habe keine Kinder. Wie gesagt, mein Vater hatte so seine festen Vorstellungen“), die Mängel im Gesundheitswesen, vor allem während der Jugoslawienkriege (Als junge Ärztin in der Ausbildung bekam sie immer die schwierigen und aussichtslosen Fälle auf den Operationstisch: vor allem Kinder von mittellosen Eltern, Putzfrauen und Fabrikarbeiter, die den Ärzten nichts zustecken konnten und denen das Geld fehlte, um auf dem Schwarzmarkt die Medikamente zu kaufen, die das System kurz vor dem Zusammenbruch nicht mehr bereitzustellen vermochte“ ) „

Hier wird vieles mit wenigen Worten auf den Punkt gebracht. Am kompaktesten gelingt das vielleicht mit dem Satz:

Sogar zum Denunzieren brauchte man Beziehungen.

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