Rechtsstaat „links und rechts der Donau“ in Ulm analysiert

(Beitragsbild von Verena Müller, Fotografie)

Recht als „große Baustelle“ in Ex-YU

Eine der Aufgaben, die von den meisten der ehemaligen jugoslawischen Staaten (immer noch) zu lösen ist, ist der Umbau des Rechtssystems, nicht nur im „geschriebenen Recht“ sondern auch im praktischen Bereich, weil nur so der Rechtsstaat beim Bürger „ankommt“.

Ulmer Konferenz zum Rechtsstaat „links und rechts der Donau“

Eine der von deutscher Seite in dieser Hinsicht in jüngster Zeit unternommenen Aktivitäten war die die Donaujustizministerkonferenz, die am 11. und 12. September 2019 in Ulm stattfand,

Bei dieser Veranstaltung ging es um die wichtigsten Fragen zum aktuellen Stand der Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union und den Donauländern, die sich gegenwärtig auf einen Beitritt zur EU vorbereiten.

Wichtige Themen

Bei der Konferenz, an der Justizminister sowie andere Vertreter der Donauländer teilnahmen, wurde an zwei Konferenztagen in vier Panels über folgende Aspekte der Rechtsstaatlichkeit diskutiert:

  • Panel I: Eint uns der Rechtsstaat in Europa?
  • Panel II: Einflüsse des deutschen Rechts auf dem Westbalkan als Beitrag zur EU-Annäherung
  • Panel III: Recht und Rechtssicherheit – Zuständigkeit, Verfahren, Rechtsmittel
  • Panel IV: Unabhängigkeit der Justiz, Karrieren zwischen Politik und Recht.

Ex-YU im Fokus von Panel II

Panel  II hatte seinen Fokus in den ehemaligen jugoslawischen Staaten. Dort diskutierten:

  • Dr. Milan Škulić, Richter am Verfassungsgericht der Republik Serbien,
  • Dr. Miloš Živković, Juristische Fakultät Belgrad,
  • Staatssekretär a.D. Michael Haußner, früher im Auftrag der Deutschen Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit e.V. (IRZ) Berater der Justizminister von Kroatien und Montenegro, sowie
  • Justizrat und Notar a.D. Richard Bock, ehemaliger Vizepräsident der Bundesnotarkammer (BNotK).
  • Moderierte wurde das Panel von Dr. Stefan Pürner, Bereichsleiter für Bosnien und Herzegowina, Nordmazedonien, Montenegro sowie Serbien bei der IRZ, der auch den Blog exyusite.net betreibt.

Verschiedene Ausgangspunkte, einheitliche Ergebnisse

Geboten wurden Erfahrungen und (mitunter überraschende) Einblick in den Prozess der Rechtstransformation aus der Sicht von Experten aus den betroffenen Staaten und aus Deutschland.

Deren gemeinsame Ergebnisse lauteten u.a.:

  • Die Transformation in den Donaustaaten unterscheidet sich wesentlich von derjenigen in der ehemaligen DDR: Dort gab es mit dem Einigungsvertrag einen Masterplan; in den Transformationsstaaten wird heute noch, für jedes Rechtsgebiet gesondert und nach wechselnden politischen Mehrheiten auch in unterschiedlicher Richtung darüber diskutiert, welches Recht umgesetzt werden sollte.
  • Auch gibt es den Wunsch zum Experimentieren und Kombinieren von Rechtsinstituten verschiedener Rechtsgebiete.
  • Dies hat dazu geführt, dass das Recht heute inkohärenter ist als es beispielsweise zu sozialistischen Zeiten war.
  • Besondere Schwierigkeiten bereitet es, wenn die kontinentaleuropäische Rechtstradition verlassen wird.
  • Dies bereitet den Rechtsanwendern erhebliche Schwierigkeiten, da sie “umgeschult“ werden müssten).
  • Das deutsche Recht wäre ein gutes Orientierungsrecht.
    • Zum einen handelt sich dabei um ein ausgefeiltes kontinentaleuropäisches Recht mit großer Anwendungspraxis.
    • Zum andern stellt es das Recht eines EU-Mitgliedstaates dar, gibt also gute Beispiele für eine Harmonisierung.

 „Gemischtes“ (hybrides) Recht als Ergebnis einer planlosen Transformation

Die Ursachen für die jetzigen hybriden Systeme sind vielfältig. Beispielhaft sind zu nennen:

  • Ausschluss der Praxis in Gesetzgebungsverfahren, zu große, weltfremde Experimentierfreude
  • Politische Einflüsse von außen (beispielsweise Druck von der USA in Serbien bezüglich des Strafprozessrechtes, Weltbank allgemein bezüglich des Notariats, unsinniges Doing Business Ranking)
  • Profilierungssucht der Experten (jeder möchte für ein vollständig neues Gesetz verantwortlich sein, mit der sinnvollen Modernisierung bestehender Gesetze verdient man keine Lorbeeren)

Fazit:

  • Das deutsche Recht ist für die Staaten Südosteuropas bereits aufgrund der bestehenden Rechtskultur das geeignete Orientierungsrecht bei der Rechtstransformation.
  • Diese Erkenntnis sollte stringent umgesetzt werden. Dabei sollten auch fehlerhafte gesetzgeberische Schritte wie sie insbesondere im Bereich des Strafprozessrechtes erfolgten, rückgängig gemacht werden.
  • Das deutsche Recht kann auch gute Dienste bezüglich der EU Harmonisierung leisten.
  • Aus dieser großen Bedeutung des deutschen Rechts für die Rechtstransformation folgt auch eine große Verantwortung Deutschlands, entsprechend im Bereich der internationalen Rechtsberatung tätig zu werden.
  • Deutschland sollte daran auch ein eigenes Interesse haben, da dann, wenn das deutsche Recht in den zukünftigen EU-Mitgliedstaaten als Orientierungsrecht dient, auch die Bedeutung Deutschlands innerhalb der EU steigt. Dies ist ein Gesichtspunkt, der insbesondere gegenwärtig, da in der EU aufgrund des Brexit „die Karten neu verteilt“ werden, erhebliche Bedeutung hat.

Hochrangige Teilnehmern und Diskutanten

Zu den hochrangigen Teilnehmern und Diskutanten gehörten u.a.:

  • Dr. Josip Grubeša, Minister der Justiz von Bosnien und Herzegowina,
  • Baden-Württembergs Justizminister Guido Wolf
  • Georg Eisenreich, Staatsminister der Justiz des Freistaates Bayern,
  • Malte Graßhof, Präsident des Verfassungsgerichtshofes Baden-Württemberg,
  • Dr. Janos Boka, Staatssekretär im Ministerium der Justiz von Ungarn,
  • Tomaš Kafka, Leiter der Abteilung Mitteleuropa im Außenministerium der Tschechischen Republik, sowie
  • Sebastian Weinzierl von der Generaldirektion Justiz, Verbraucher und Gleichstellung der Europäischen Kommission,
  • Prof. Dr. Dr. h.c. Herbert Küpper, Geschäftsführer des Instituts für Ostrecht, München/Regensburg und Vizepräsident der Südosteuropa-Gesellschaft.

Lob für Deutschland aus Bulgarien

Bei der Veranstaltung sparte Dr. Margarita Popova, Vizepräsidentin a.D. und Justizministerin a.D. der Republik Bulgarien, im Panel IV mit dem Thema „Unabhängigkeit der Justiz, Karrieren zwischen Politik und Recht“ nicht mit Kritik an der Beratung von Transformationsstaaten durch manche internationale Organisationen („Zu uns wurden junge, unerfahrene Menschen geschickt, die keine Ahnung von unserer Kultur und unserem Recht hatten.“)

Als positives Gegenbeispiel hob sie zwei deutsche Organisationen hervor: Die frühere Zusammenarbeit Bulgariens mit dem bayerischen Justizministerium und der IRZ bezeichnete sie als positives Beispiel für eine Beratung auf Augenhöhe mit Respekt und in Kenntnis der Traditionen und der Kultur des Partnerlandes..

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