Polen: Sprachliches Glatteis für Serbokroatisten

Slawische Sprachen sind nicht nur „irgendwie“ miteinander verwandt, sondern man kann, wenn man eine beherrscht, sich auch andere leichter erarbeiten. Man kann sogar in gewissem Maße mit jemandem, der eine andere slawische Sprache spricht, die man nie gelernt hat, kommunizieren.

Das ist schön, birgt aber auch erhebliche Gefahren, da man ebenso leicht auf „falsche Freunde“, also ähnlich klingende Worte, die aber ganz etwas anderes bedeuten, hereinfallen kann.

Beispiele, für das, was dabei herauskommen kann, wenn man auf der Basis des Serbokroatischen in Polen falschen Freunden blind folgen würde, haben wir jüngst bei einem Aufenthalt in Warschau gesucht – und unschwer gefunden.

Auch Zeitangaben sind relativ

Das fing schon bei der Reisevorbereitung an.

Godina“ ist von Zagreb über Sarajevo bis Belgrad das Jahr.

Als wir das polnische „godzina„ lasen, freuten wir uns zuerst, dass wir ein Wort in einer Sprache kennen, die wir nie gelernt haben, richtig übersetzen können. Und wir hätten uns um ein Haar über die billigen Preise in Polen gefreut. Wir suchten nämlich nach den Preisen für Mietfahrräder und stellten fest, dass diese für eine godzina nur einen Zloty, also gerade einmal ungefähr einen viertel Euro kosten würden.

Das machte uns dann doch misstrauisch und wir haben im Online-Wörterbuch nachgesehen. Dabei haben wir dann festgestellt, dass das Wort auch im Polnischen für eine Zeiteinheit steht. Die ist allerdings erheblich kürzer als ein Jahr. Sie dauert nämlich nur eine Stunde, also den 365 x 24-ten Teil eines Jahres.

„Jahr“ heißt im Polnischen nämlich „rok“,. Dieses Wort hat im Serbokroatischen wiederum auch mit einem Zeitabschnitt zu tun hat, steht aber für „Frist“ .

Derselbe Monat einen Monat später

Wären wir im November da gewesen, dann hätten wir vermutlich gedacht, wir hätten eine Zeitreise gemacht. Dann wäre auf den Datumsanzeigen auf den Leuchtschriften nämlich  „listopad“ gestanden. Dieses Wort bezeichnet im Polnischen den November. Im Kroatischen gibt es einen gleichnamigen Monatsnamen. Der steht allerdings für den Oktober.

In beiden Sprachen bedeutet das Wort „Blätterfall“, der allerdings in Polen später stattfindet als im südlicher gelegenen Kroatien.

Ein Stuhl wird zum Jahrhundert – dachten wir, aber dann war es „Hauptstadt“

In Warschau angekommen fanden wir dann eine Leuchtschrift, mit der auf den ersten Blick – ja, Sie lesen richtig – ein Stuhl gefeiert wurde.

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Das zumindest bedeutet „stolica“ im Serbokroatischen.

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Die Jahreszahlen 1918 – 2018 halfen uns dann aber – dachten wir! – auf der Suche nach der richtigen Übersetzung weiter. Die dort aufgeführten Ziele umspannen nämlich ein Jahrhundert. Und das heißt beispielsweise in der kroatischen Variante des Serbokroatischen „stoljeće“.

Weil uns das sehr einleuchtend klang und wir kein Internet hatten, über das wir im Online-Wörterbuch nachschauen hätten könnten, hielten wir das Rätsel für gelöst.

Später wurden wir allerdings eines besseren belehrt:

„Stolica“ ist im Polnischen nämlich nicht der Stuhl, sondern die Hauptstadt.

Was auch wieder Sinn macht, weil früher der König in der Hauptstadt seinen Stuhl, der wegen seiner Funktion im Deutschen „Thron“ genannt wird, besitzt.

Im Polnischen sind Autos selbststeuernd, seit sie erfunden wurden

Auch dem Wort „samohod“ sind wir begegnen, was – bislang zumindest – aber kein „Selbstläufer“ (samo und hodati) ist, sondern ein Auto, das nach wie vor meist noch von jemandem gesteuert werden muss. (Wenn bald alle Autos selbststeuernd sind, wissen wir, dass die polnische Sprache ihrer Zeit voraus war.)

In Polen sind alle auf „droga“

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Falsche Versprechungen macht auch die „pomoc drogowa“. Die hilft nämlich weder mit noch gegen Drogen.

Da „droga“ nicht „Droge„, sondern „Straße“ oder „Weg“ bedeutet, steht das Wort für „Pannenhilfe“.

Eine Grafitti gibt Rätsel auf

Richtige Rätsel gab uns eine wenig jugendfreies Wandbild unter einer Brücke auf.

Es zeigt ein Gesicht und drei Wörter, deren erstes „Uwaga“ ist. „vaga“, haben hier überlegt, steht im Serbokroatischen für „Waage“. Und aus „na“ kann schon mal „u“ werden. Außerdem wissen wir aus dem Mazedonischen, dass nicht alle slawischen Sprachen unbedingt Wert auf eine ausgiebige Deklination legen. Also könnte „Uwaga“ (ausgesprochen „u vaga“) durchaus bedeuten „auf die Wage“.

Gestaunt haben wir aber dann, was da auf die Wage sollte:

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Latajace“ steht – da waren wir uns ziemlich sicher – für „fliegend“. Und das nachfolgende P-Wort ist international.

Sollen hier also fliegende P… auf die Waage?

Was immer auch diese männlichen Körperteile zum Fliegen gebracht hat: Sie sollen nicht gewogen werden, sondern es wird vor ihnen gewarnt. „Uwaga“ heißt nämlich in etwa „Achtung!“ oder „Vorsicht!“.

Mit Indiana-Jones-Bier geschmackvoll zum Weltuntergang

Unser Lieblingsfalscherfreund war jedoch eine Bierdose, auf der das Porträt eines Indiana- Jones-Typen von dem Schriftzug „bogaty smak“ eingerahmt wurde.

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bogaty“ ist nicht weit weg von „bogat“ und könnte deshalb „reich“ bedeuten. Wenn es sich mit „smak“ ebenso verhalten würde, stünde auf der Dose „Reicher Weltuntergang“.

Das muss aber ein Hammerbier sein!

In dieser Richtung deutete auch das dritte prominente Wort auf der Dose: „mocne“ = stark, mächtig.

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Und tatsächlich haben wir „bogaty“ und „mocne“ durch Parallelwertung in der Serbokroatistensphäre richtig übersetzt.

Smak“ ist jedoch im Polnischen etwas weniger Bedrohliches als im Serbokroatischen. Es scheint vom Deutschen inspiriert zu sein und heißt schlichtweg „Geschmack“.

Unterhaltsame Lektüre zum selben Thema

Mehr zu falschen Freunden in verschiedenen Sprachen gibt es bei Wikipedia. Dort findet man auch viele Bespiele. Eine unterhaltsame Lektüre!

Die Heinzelmännchen von Warschau

Nochmals zurück zu den fliegenden Na-Sie-wissen-schon-was.

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Direkt neben dieser rätselhaften Graffiti haben wir ein charmantes Stück Street Art entdeckt.

Daneben befindet sich nämlich eine aufgebrochene und offensichtlich seit langem nicht mehrbenutzte Verteilerdose, vielleicht für die Beleuchtung der Brücke.

Einen unbekannten Spaßvogel hat dies dazu inspiriert, ein Reparaturkommando aus Eisenbahnfiguren im H0-Format dort zu hinzukleben, das nun – von den vielen vorbeiströmenden Passanten unbemerkt, versucht, die Kabelverbindungen zu reparieren.

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