Zoster ist eine der interessantesten aktuellen Band aus dem ehemaligen Jugoslawien. „Auweia“ werden jetzt diejenigen sagen, die über die Sprachgrenzen hinweg die Bedeutung des Namens kennen. Ja, die Band heißt in Übersetzung tatsächlich „Gürtelrose“.
Gesellschaften und Staaten mit defekten Selbstheilungskräften
Es ist kein Zufall, dass sich die Musiker nach dieser lästigen und schmerzhaften Krankheit benannt haben. Herpes Zoster, so ihr offizieller Name, entsteht nämlich, wenn das Immunsystem des Körpers versagt. Da nach Ansicht der Musiker das Immunsystem von Staat und Gesellschaft ihrer Heimat versagt hat, lag es für sie nahe, diesen Namen zu wählen, als sie beschlossen, mit sozialkritischen Liedern etwas gegen diesen Zustand zu tun.
Hier ist gleich ein interkultureller Warnhinweis notwendig : Deutsche Ohren sind es gewohnt, dass „Sozialkritisches“ immer bierernst, hausbacken und wie in Birkenstocksandalen daherkommt.
Auf dem Balkan dagegen vermittelt man solche Inhalte meistens frech, musikalisch abwechslungsreich und humorvoll. Weiterlesen lohnt sich also!
Reggae und vieles mehr
Musikalisch packte die bosnisch-herzegowinischen Gruppe, deren erste Blüte in Mostar in den Herzegowina aufging, ihre Texte anfangs in Reggae-Rhythmen.
Auch hierfür gibt es eine gesellschaftspolitisch orientierte Begründung: Man wollte durch harten Rock nicht zusätzliche Aggressionen in die ohnehin fragile Gesellschaft bringen. Deshalb bediente man sich der ebenso entspannten wie entspannenden Jamaika-Musik.
Mittlerweile ist man diesbezüglich erheblich breiter aufgestellt. Und hat eine eigenständige Mischung entwickelt, bei der man sich abwechselnd und songtauglich aus verschiedenen Genres bedient.
Nach einem Konzert der Gruppe ist man sich ziemlich sicher, dass bei den Musikern in der internationalen Abteilung der heimischen Plattensammlung diverse Punkbands, die Beatles, aber auch – insbesondere beim Keyboarder – die Doors stehen Und dass in der Ex-Yu-Abteilung vor allem die Platten von Azra, Alisa, EKV, Haustor und Zabranjeno pušenje deutliche Gebrauchsspuren aufweisen.
Bereits diese Mischung ergibt auf den vier bisher erschienenen Tonträgern (Wikipedia kennt nur drei davon, „Ojužilo“ fehlt aus ungeklärten Gründen) einen kleinen Mikrokosmos, den man nur schwer verkürzt darstellen kann.
Gesellschaft und Individuum als Hauptthemen
Noch unlösbarer wird die Aufgabe, wenn man die Inhalte der Songs beschreiben möchte.
Dort gibt es zwei Hauptthemen:
- den maroden Zustand der Gesellschaft in Bosnien und Herzegowina sowie das Lebensgefühl „in the ass of the world“ zu leben (Zitat aus „Banana Stejt“
– in den Texten der Gruppe tauchen oft englische Einsprengsel auf) und - Appelle zur Individualität (Budi svoj).
An dieser Stelle nur soviel: Die Gesellschaft, die hier beschrieben wird, ist vor allem von der sozialistischen Vergangenheit und den Nachwirkungen des Krieges gekennzeichnet.
Dementsprechend prägen alte Seilschaften, Kriegsgewinnler und Opportunisten das öffentliche Leben. Wer nicht zur richtigen Kaste gehört, hat schon verloren, bevor der erste Würfel überhaupt gefallen ist. Ziel der meisten ist es deshalb, ihr Leben so bald wie möglich in einem anderen Land fortzusetzen.
Das beste Beispiel für diese Art von unterhaltsamer Beschreibung eines tristen Zustandes ist wohl: „Ko je jamio, jamio, jamio (in der Übersetzung wohl: Wer hat hier stibitzt?).
„Die Kleinen hängt man, und die Großen lässt man laufen“. Bei Zoster wird diese Erkenntnis als Ohrwurm und mit einem farbenprächtigen Zeichentrickfim dargebracht .
Individualismus statt Kollektiv – auch wenn es im gelben Unterseeboot wäre
Ähnlich mitreißend sind die Appelle, sich den allgemeinen Tendenzen zur Anpassung und zur Konsumfreude zu verweigern. In diesem Zusammenhang ist Zoster auch jeglicher naiver Hippie-Kollektivismus fremd. Dies belegt eine zweisprachige Bearbeitung von Yellow Submarine, in der es heißt
in the town where I was born,
lived a man who sailed to sea,
one day he came and said:
lets live together on one big yellow submarine!i said i don’t want to live on the yellow submarine
Kurze, aber vielschichtige Texte
Viele der Themen, die Zoster behandeln, kommen auch bei anderen aktuellen Bands vor. Aber dort, wo die Rapper von Dubioza Kolektiv oder Beogradski Sindikat einige Schreibmaschinenseiten brauchen, genügen bei Zoster wenige Zeilen, um Situationen und Stimmungen wiederzugeben.
Ein Beispiel für diese verkürzte Art der Erzählung, bei der das wesentliche zwischen den Zeilen passiert, ist das hypnotische Lied über den Sarajevo-Attentäter Gavrilo Princip, das ausgiebig seine Nacht vor dem Mord und das Frühstück am Tag der Tat schildert, das Attentat selbst aber auslässt.
Thematisiert werden auch die (vermeintlich) ethnischen Konflikte („Kao Kain i Abel“), der brain drain und das Festhalten an gewohnten Verhaltensweisen und/oder korrupten Politikern. Hierbei ist vieles nicht eindeutig und es kann eine durchaus passieren, dass man beim neuerlichen Anhören etwas anderes aus einem Lied herausliest als beim vorherigen.
Andrea Kane schreibt auf dem Portal Rockomotiva über das letzte Album der Band:
„Srce uzavrelo“ (übersetzt: Heißblütiges Herz) ist ein wahres Meisterwerk, da es in sich soviele Schichten und Anlässe für unterschiedliche Interpretationen enthält, dass sich bei jedem Anhören etwas Neues ergibt („Srce uzavrelo“ je pravo remek-delo jer u sebi sadrži toliko slojeva i povoda za različita tumačenja da je svako slušanje novo.)
Und der kreative Umgang mit der Sprache böte ausreichend Stoff für Slawistenseminare. Beispielsweise diese schlichten Zeilen:
OdAvde je-je-je-je-je,
odAnte je-je-je-je-je,
i odJove
aus dem Lied „Sugrađanin“ = Mitbürger an dem eine im Internet vorhandene deutsche Übersetzung grandios scheitert.
Zoster tritt regelmäßig auch in anderen jugoslawischen Nachfolgestaaten auf. Sie treffen also offensichtlich allgemeine Stimmungen in der Region.
„Zoster in Concrete“: Das Konzert im RTV-Betonpalast
Anfang Juni 2017 fand ein besonderes Konzert dieser Band statt.
Im weitläufigen, noch aus sozialistischer Zeit stammenden Betonkomplex des staatlichen Fernsehens von Bosnien und Herzegowina RTV zeichnet man ein Konzert vor Publikum auf. Die Zuhörer hatten dabei die Möglichkeit, das Gebäude von RTV als inzwischen reichlich heruntergekommenes Relikt aus sozialistischer Zeiten näher kennen zu lernen:
Durch endlose und trostlose Gänge, vorbei an den (heute meist verwaisten) Büros von zahllosen Redaktionen und Unterabteilungen, defekten Toilettten und den Räumen der Schützensektion des Betriebssportvereins ging es zum zum fensterlosen „Studio 2“.
Was folgte war aber wesentlich lebhaafter: In dieser eigentlich trostlosen Ambiente erwartete einen nämlich nicht nur ein bestens gelauntes Publikum und eine engagierte, gut eingespielte Band, sondern auch eine kleine Zeitreise: Beim RTV werden solche Sendungen noch aufwändig produziert, alleine fünf Kameraleute waren im Einsatz. Hinzu kamen noch zwei große Schwenkarme mit weiteren Kameras.
So wurde früher Fernsehen gemacht!
Auch geraucht werden durfte noch im Veranstaltungssaal, genau so als würden wir noch die 1970-er schreiben. (Eine Möglichkeit, von der das Publikum ausgiebig Gebrauch machte.)

Und es wurde auch getrunken. Das Bier holte man sich einfach aus der Betriebskantine, die abends lange geöffnet hat, ein Stockwerk tiefer. Da das Sarajevsko Pivo irgendwann ausging, mussten die Durstigen auf eine deutsches Lizenz-Gebräu zurückgreifen:
Und auch die Verkabelung stammte aus tiefsten analogen Zeiten:

Auch das Konzert war wie aus einer anderen Zeit. Im positiven Sinne!
Musik, gemacht mit Hand und Herz! Und trotz der inhaltsschweren Texte rollte, groovte und rockte es.
Wie, das kann man hier bei diesem Konzert in Tuzla sehen:
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