Unbekannter Krisenherd Mazedonien: Teil 1

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London oder Paris ? Nein: Skopje! Von jedem ein bißchen und alles nagelneu. Die „Londoner Busse“ werden übrigens in China hergestellt.

Unbekannter Krisenherd Mazedonien

Teil 1- Die Frühzeit: Keine Slawen, ein Alexander, eine mehrfach verwandte Sonne und eine Stadt mit vielen Namen

Die EJR Mazedonien, ein terra incognita

Von Mazedonien, genauer der „Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien“ (kurz: EJR Mazedonien) ist in den deutschen Medien derzeit vor allem wegen des Zustromes von Flüchtlingen über dieses Land die Rede. Über die dortige innenpolitische Lage und die Geschichte des Landes erfährt man dagegen kaum etwas.

Wenig und veraltete Informationen

Wer in deutscher Sprache gezielt nach Informationen über die EJR sucht, erhält oft nur ,Bruchstückhaftes und zudem häufig Veraltetes. Auf Wikipedia, also der Quelle, die meist für die schnelle Suche nach Informationen im Internet genutzt wird heißt es lapidar: “

 „Vorübergehend eskalierten Anfang 2012 die ethnischen Spannungen zwischen Albanern und Mazedoniern erneut.“

 Damit endet auch noch im Jahr 2016 die Darstellung des Abschnitts „Politische Entwicklung seit 2011“!

Wesentlich aktueller – und deutlicher – ist die Internetseite des deutschen Auswärtigen Amtes, die feststellt, dass

 „…. in Skopje weiterhin eine schwere innenpolitische und rechtsstaatliche Krise (schwellt). Die EU und die USA vermitteln intensiv zwischen Regierung und Opposition, um eine Lösung zu erreichen.

Weiterhin erfährt man dort, dass am 1. September 2015 die Opposition einen fünfzehnmonatigen Parlamentsboykott beendet hat. Bereits dies ist ein Zustand, der für eine junge Demokratie mehr als bedenklich ist. Hinzu kommen noch weitere Umstände, die aus Platz- und eventuell auch aus anderen Gründen auf dieser offiziellen Seite der Bundesregierung nicht erwähnt wurden.

Symptome der Krise

Die angesprochene Krise äußert sich zum Beispiel:

  • in Demonstrationen, bei denen es leider auch schon einen Toten gegeben hat,
  • eine Polizeiaktion kriegsmäßigen Ausmaßes, die im Jahr 2015 achtzehn  Menschenleben kostetet,
  • ein Abhörskandal wegen einer halben Millionen abgehörter Telefonate, darunter auch solche ausländischer Botschafter,
  • in dessen Rahmen auch Gespräche öffentlich wurden, bei denen wohl Politiker die Justiz beeinflusst haben,
  • dem Bauprojekt „Skopje 2014“, mit dem die Hauptstadt Skopje für ca. eine halbe Milliarde Euro (also ziemlich viel Geld für einen der ärmsten Staaten Europas) für Touristen attraktiver und vor allem „historischer“ und „mazedonischer“ gemacht werden soll.

Der Balkan entzieht sich einfachen Lösungen und Darstellungen

Um die Hintergründe dieser Ereignisse zu beleuchten soll hier die Entwicklung in Mazedonien in der Übersicht dargestellt werden.

Balkan: Geschichte mit Fallstricken

Deutsche Leser mag es verwundern, dass dabei mehr als weit ausgeholt wird, und die Darstellung vor Christi Geburt beginnt. Mancher mag sich fragen, ob das wirklich erforderlich ist, um die heutige politische Situation in einem Land, das immerhin über den EU-Beitritt verhandelt, zu beschreiben.

Es ist jedoch ein Kennzeichen des Balkans, dass Geschichte dort heute nicht nur objektiv fortwirkt, sondern die (vermeintliche) Erinnerung daran auch heute noch das Denken und das tägliche Handeln bestimmt. „Erleichtert“ wird dies durch das Nebeneinander von Sprachen und Völkern. Dieses erlaubt es, jedes Gegenüber sofort einer bestimmten anderen Gruppe zuzuordnen. Und andere Gruppen sind aus Sicht vieler nicht selten auch Gruppen von Tätern, die Unrecht an der eigenen Gruppe begangen haben.

Das sind böse Worte, aber Ähnliches hört man auch aus berufenerem (was auf dem Balkan aber auch „verrufen“ bedeuten kann) Munde. Der kürzlich verstorbene deutsche Südosteuropa-Historiker Holm Sundhausen  etwa stellte fest, dass jeder,

der sich aus wissenschaftlicher Distanz mit der Geschichte südosteuropäischer Gesellschaften beschäftigt, früher oder später ins Fadenkreuz nationaler Eiferer (rückt), die unermüdlich auf der Suche nach „Feinden“, „Verschwörungen“ und „Verrätern in den eigenen Reihen“ sind“.

Über Geschichte im Zusammenhang mit dem Balkan zu sprechen, ist also ein höchst gefährliches Unterfangen! Andererseits: Sich mit dem Balkan zu beschäftigen, ohne zumindest zu versuchen, dessen Geschichte und seine Besonderheiten zu verstehen, ist noch gefährlicher. (Fragen Sie Franz Ferdinand!)

„Mazedonien“ ist nicht gleich „Mazedonien“

Der Autor ist sich bewusst, dass es eigentlich unmöglich ist, eine unumstrittene Darstellung gerade der Geschichte Mazedoniens zu geben.

Das fängt bereits beim Wort „Mazedonien“ (oder Makedonija, Македонија; Μακεδονία, „Maqedoni“ wie es in der Sprachen der Region heißt) an, das unterschiedliche Gebiete bezeichnen kann. Der Staat „EJR Mazedonien“, von dem hier die Rede ist, ist nämlich nicht identisch mit dem Begriff „Mazedonien“, wie er in vielen anderen Zusammenhängen gebraucht wird.

Vereinfacht gesagt ist die EJR Mazedonien ein Teilgebiet von Mazedonien, das wiederm ein geografisches Gebiet, das 1913 auf vier verschiedene Staaten aufgeteilt wurde: Der größte Teil – einige sprechen von 51 % – ging an Griechenland. Der zweitgrößte – wohl knapp unter vierzig Prozent – wurde dem Königreich Serbien (das später in Jugoslawien aufging) zugesprochen. Albanien und Bulgarien erhielten weitere, deutlich kleinere Gebiete.

Bei der EJR Mazedonien, die sich selbst „Republik Mazedonien“ nennt, handelt es sich um den westlichen Teil des genannten Gebietes, der damals an Serbien ging (wo es als „Südserbien“, nicht jedoch als etwas Eigenständiges, betrachtet wurde). Bewohnt wird die EJR Mazedoniern vor allem von slawischen Mazedoniern, Albanern und einer Reihe von Minderheiten.

Den Zusatz EJR (englisch fYR = former Yugoslav Republic) „verdankt“ das Land übrigens seinem Nachbarn Griechenland. Der hat nämlich bei der UN gegen den nicht mit einem einschränkenden Zusatz versehenen Namen „Mazedonien“ ein Veto eingelegt.

Vorslawische Zeit

Was aber war vorher? Fangen wir ganz von vorne an:

Illyrer und Thraker

Das Gebiet, auf dem heute die EJR Mazedonien liegt, wurde einst von illyrischen Stämmen, die wohl vor 2800 Jahren, also im achten Jahrhundert vor Christus, dort eingewandert sind, bewohnt.

Das klingt aus deutscher Sicht weit zurückliegend und deshalb für die Erklärung der heutigen tagespolitischen Lage irrelevant. Ist es aber nicht! Wenn man nämlich nachforscht, wer denn nun diese Illyrer gewesen waren und wo sie abgeblieben sind, erfährt man unter anderem, dass es Stimmen und Argumente (allerdings auch Gegenstimmen und Gegenargumente!) gibt, nach denen die heutigen Albaner von den Illyrern abstammen. Von Bedeutung ist das heute u.a. deshalb noch, da 25 bis 30 % der Einwohner der EJR Mazedonien Albaner sind.

Außerdem wurde das Gebiet von einem weiteren Stamm bewohnt, an dem man sich noch aus dem Geschichtsunterricht erinnert: Den Thrakern. Später, nämlich im 2. Jahrhundert v. Chr., also vor etwa 2200 Jahren, kamen – das wird nun keinen erstaunen – die Römer auch dorthin. Bis dahin dauerte es aber noch einige Zeit, in der auch einiges geschah.

Ein auf dem Gebiet des heutigen Griechenlands geborener Nicht-Slawe

Diese Ereignisse wurden von einem manischen Karrieristen bestimmt, der nach einer erstaunlichen Laufbahn mit gerade einmal 33 Jahren starb – nachdem „die Welt“, also alles, was er erobern konnte, erobert hatte. Nicht dadurch, dass er – so wie seine Nachfahren im Geiste – dort ein Produkt (Handy, Software) – erfolgreich verkauft hat, sondern mit militärischen Mitteln. Was bedeutet, dass man Menschen (um exakt zu sein: Männer) dazu bringt, zu töten – damals übrigens noch auf eine sehr handwerkliche brachiale Art – und das Risiko einzugehen, auf eine ebensolche Art zu verrecken.

Die Rede ist von Aleksander dem Großen, der heute noch – das muss man ihm mal nachmachen – 2350 Jahre nach seinem Tod der empfindlichste „Stinkefinger“ ist, der in den gegenwärtigen Auseinandersetzungen hochgehalten wird. Nicht nur das: Nach ihm benennt man heute Flughäfen und man errichtet ihm heute noch monumentale Denkmäler mit Beleuchtung und Musik um ihn zu verehren oder die Nachbarn zu ärgern.

Im jetzigen Zusammenhang ist vor allem zweierlei relevant:

  • Alexandar war kein Slawe (dazu war er definitiv tausend Jahre zu früh in der Gegend)
  • und geboren wurde er in Pella.

Ethnisch hat Alexander also mit der heutigen slawischen Bevölkerungsmehrheit in der EJR Mazedonien ungefähr so viel zu tun, wie ein vor 1492 herrschender nordamerikanischer Indianerhäuptling mit der heutigen weißen Bevölkerungsmehrheit in den USA.

Pella ist heute eine Kleinstadt mit weniger als 7.000 Einwohnern Damals war es jedoch die Haupstadt des antiken Königreiches Mazedonien – und es liegt in Griechenland.

Vor Pella war Aigai (heute Vergina) die Hauptstadt des Königreiches Makedonien. Nach Vergina ist ein sechzehnstrahliges Sonnensymbol benannt, das u.a. die Flagge Alexandar des Großen zierte. Das ist lange her, könnte man denken. Ist aber ebenfalls noch heute von Bedeutung. Derselbe Stern ziert nämlich auch im Jahr 2016 die Flagge der griechischen Region Makedonien. Und: Er war auf der ersten Flagge der EJR nach deren Unabhängigkeit 1991 abgebildet.

Womit bewiesen wäre, dass man im Balkan weit zurückgehen muss, um die Dinge, die man heute sieht, auch tatsächlich einordnen zu können. Bewiesen ist damit aber auch, dass man dort auch dann, wenn man zu neuen Ufern aufbricht – wie zum Beispiel dem ersten eigenen Staat – gerne in der Geschichte weit zurückgeht, um sich zu legitimieren.

Eine Stadt mit vielen Namen

Ein kurzer Blick in die Zukunft (von Alexandars Zeit aus gesehen):

Später wurde Makedonien, und damit das Gebiet der heutigen EJR Mazedonien, Bestandteil des Byzantinischen Reiches. Das war, Neudeutsch gesagt, ein Spin-off des römischen Reiches. Laut Wikipedia charakterisierte der Byzantinist Georg Ostrogorsky das Byzantinische Reich als eine Mischung aus

  • römischem Staatswesen,
  • griechischer Kultur und
  • christlichem Glauben.

Auf „Griechenland“ und „christlicher Glaube“ werden wir später noch einmal zurückkommen!

Hauptstadt des Byzantinischen Reiches war übrigens – wen wundert es ? – Byzanz. Eine Stadt, die bereits durch ihren Namen und dessen Änderungen zeigt, wie wechselvoll Geschichte sein kann. Später hieß sie „Konstantinopel“, nach dem römischen Kaiser, der, wohl aus machtpolitischem Kalkül, dem Christentum zum Durchbruch verholfen hat. Heute heißt sie Istanbul und steht eher für eine andere Religion.

Außerdem war Istanbul Hauptstadt des Osmanischen Reiches, das lange Zeit den Balkan beherrschen sollte. (Ein Teil des Osmanischen Reiches war übrigens die heutige Türkei, die man jedoch nicht mit dem Osmanischen Reich gleichsetzen sollte.)

Balkan hat mehr Geschichte, als er tragen kann

Bereits nach diesem Exkurs fühlt man sich an das Churchill- Zitat, Balkans produce more history than they can consume erinnert. (Nur am Rande bemerkt: Im Englischen sagt man „Balkans“, obwohl die Balkan Halbinsel auch dort – nur – Balkan Peninsula heißt. In Deutsch rückübersetzt: Der Balkan ist – bei Gott! – kein einheitliches Gebiet.)

Zurück zu Alexander, dern Ilyrern und den Thrakern:

Man bräuchte Stunden in Bibliotheken und historischen Seminaren dazu, um das  oben grob Skizzierte zu verifizieren und detaillierter darzustellen. Jetzt schon! Obwohl wir noch mehr als 2000 Jahre zur heutigen Zeit hin haben.

Und obwohl die heute maßgebliche prägende Bevölkerungsgruppe noch fehlt, die Slawen, genauer: die Südslawen. Mehr zu diesen in der nächsten Folge.

Festhalten kann und muss man an dieser Stelle jedoch eines:Wesentliche Teile der Geschichte der heutigen EJR Mazedonien haben sich zu einer Zeit ereignet, zu der im gesamten Gebiet der geografischen Region Mazedonien keine Slawen lebten. Diese waren nämlich noch sehr, sehr weit weg.

(wird fortgesetzt)

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