Ohren, Bärte und Richter: Das Gesetzbuch des Zaren Dušan

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Mehrsprachige Ausgabe des Gesetzbuches

Serbien: Manchmal moderner als Deutschland

Das serbische Recht und seine Geschichte sind in Deutschland weitgehend unbekannt. Dies ist bedauerlich, da das Land diesbezüglich einiges zu bieten hat, was viele überraschen dürfte. So gab sich Serbien bereits 1844 (und damit 64 Jahre vor dem Deutschen Reich!) ein eigenes Bürgerliches Gesetzbuch (Српски грађански законик ), bei dem man sich inhaltlich allerdings weitgehend an dem, bereits im Jahre 1811 erlassenen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch Österreichs orientierte.

Noch viel älter (und für den juristischen Laien wohl spannender) ist das Gesetzbuch des Zaren Stefan Dušan des Mächtige (Dušan Silni)  aus den Jahren 6857. Wer sich jetzt über diese Jahreszahl wundert: Dies ist die damalige Zählung, nach heutiger Zählung handelt es sich um das Jahr 1349. Verkündet wurde das Gesetzbuch übrigens in Skopje, heute EJR Mazedonien, das damals zu Serbien gehörte. Und Dusan bezeichnete sich selbst bei dieser Gelegenheit nicht als der Mächtige, sondern als „der Fromme“.

Dieses Gesetzbuch war nicht das erste serbische Gesetzbuch, besonders wird es aber dadurch, dass es zahlreiche spätere Kodifikationen beeinflusste.

Damals Recht, heute kurios

Das Gesetz gibt die Rechtsauffassung der damaligen Zeit wieder. Gerade dadurch enthält es aber Vorschriften, die aus heutiger Sicht unverständlich, ja manchmal sogar kurios anmuten. (Weiter unten werden wir einige Beispiele hierfür geben.) In anderen Punkten scheint es mehr an der kontinentaleuropäischen Rechtstradition orientiert als das heutige serbische Recht. (Auch dafür werden wir Beispiele anführen.)

Systematik und die geregelten Rechtsbereiche des Gesetzbuches erschließen sich nicht eben leicht (Es gibt sogar Stimmen, die bestreiten, dass dem Gesetzbuch eine systematische Gliederung zu Grunde liegen würde.)

Das Gesetz beginnt mit verschiedenen Bestimmungen mit religiösem Bezug. Dies hat seine Ursache darin, dass es dem Prinzip folgt, dass jedes Gesetz aus dem orthodoxen Glauben hervorgehen sollte. Dem schließen sich Vorschriften über Stiftungen und den Adelsstand an. Weitere Regelungen können dem Staats-, Straf- und Prozessrecht zugeordnet werden. Regelungen bürgerlich-rechtlichen Charakters (Erb-, Schuld- und Sachenrecht) fehlen jedoch weitgehend. Dies wird damit erklärt, dass es bereits diesbezügliche geschriebene Gesetze gab, als die weiter greifen, gab als Dušan sein Gesetzbuch ließ.

Katholizismus = Ketzerei

Die religiösen Vorschriften dienten auch dazu, die Ausbreitung des Katholizismus im orthodoxen Serbien zu verhindern. Wenn das Gesetz von „Christen „spricht, meint es ausschließlich Orthodoxe. Der Katholizismus (der als „lateinischer Glauben“ oder sogar alles „lateinischer Ketzerei“ bezeichnet wird) wird dagegen nicht als eine Abart des Christentums, sondern als ein aliud behandelt.

Verboten ist auch die Missionierung für den katholischen Glauben. In Art. 8 des Gesetzes heißt es:

Ein lateinischer Pfarrer, der Christen zum lateinischen Glauben bringt, wird nach dem Gesetz der heiligen Väter bestraft.

Was das Gesetz der heiligen Väter ist, bleibt unklar. Es ist anzunehmen, dass sich dabei um das überkommene, ungeschriebene Gewohnheitsrecht handelt. Man kann also davon ausgehen, dass die diesbezüglichen Sanktionen mehr als hart waren.

Reichenbonus -Armenmalus

Ein grundlegendes Prinzip der strafrechtlichen Bestimmungen dieses Gesetzbuches ist es, dass die soziale Stellung des jeweiligen Täters – und nicht die individuelle Schuld – über die Art und Schwere der Strafe entscheiden. Dabei gibt es einen“ Reichenbonus“: Je höher jemand auf der sozialen Leiter steht, desto niedriger fällt die Strafe aus.

Ein Beispiel hierfür:

  • Einem Adeligen, die eine Adelige vergewaltigt, sollen beide Hände abgehauen und die Nase abgeschnitten werden  (Art. 53 S. 1), er soll also verstümmelt werden.
  • Vergewaltigt jedoch ein Bauer eine Adelige, so wird er gehängt, also getötet.

Die serbische Boulevard Zeitung „Telegraf“ fand das offensichtlich – am 24. Juli 2014,  also 665 Jahre, zwei Monate und drei Tage nach Verkündung des Gesetzes – noch immer eine angemessene Sanktion. Sie überschrieb einen Beitrag – der im Internet 151-mal geliked wurde und nur drei Daumen nach unten kassierte – nämlich mit der Schlagzeile

„DUŠANOV ZAKONIK: Da danas važe ove kazne, ne bi bilo ni silovatelja, ni ubica!“

(Gesetzbuch des Dušan : Wenn heute es heutenoch gelten würden, gäbe es keine Vergewaltiger und keine Mörder)

„Bart versengen“ als Strafe, „Bart ausreißen“ als Straftat

Auch dort, wo die Strafen auf den ersten Blick die gleichen zu sein scheinen, sind sie im Ergebnis unterschiedlich hoch.

Nach Art. 55 muss ein Adeliger, der einen Kleinbauern beschimpft, genauso wie ein Kleinbauer, der einen Adeligen beschimpft, dem Opfer einen Betrag von 100 Perpern zahlen.  Dem Kleinbauern dürfte es jedoch wesentlich schwerer fallen, diesen Betrag aufzubringen.

Außerdem ist für solche Unbotmäßigkeit bei Kleinbauern als Täter zusätzlich eine weitere, für viele Leser wohl überraschende Sanktion vorgesehen: Ihnen soll nämlich der Bart versengt werden!

Das klingt jetzt wie eine eher minimale Sanktion, man kann sich ja schließlich danach rasieren. Wenn man jedoch weiß, dass manchen Serben ihr Bart mindestens so heilig ist wie den Mitgliedern des Ostbayerischen Bart- und Schnauzerclubs 1996 e.V.  sieht die Sache jedoch anders aus!

Die Privilegierung des Adels geht im Prozessrecht weiter: Adelige sollen nur am Vormittag zu Gerichtsverhandlungen geladen werden (Art. 56). Normale Sterbliche sollen nach Art. 62 „mit einem Siegel“ zu einer Gerichtsverhandlung geladen werden, bei Angehörigen des Adels ist dagegen ein ordentliches Schreiben erforderlich.

Allerdings gibt es auch Fälle, in denen sozial schlechter Gestellte mit geringerer Strafe davonkommen. Geregelt ist dies für die reichlich kuriose Straftat des „Jemanden-anderem-den-Bart-Ausreißens“. Reißt nämlich jemand einem Adeligen oder einem „guten Menschen“ den Bart aus, dann sollte ihm nach Art. 97 die Hand abgehauen werden. Wenn dagegen zwei Kleinbauern sich gegenseitig die Bärte ausreisen, müssen sie nur eine Strafe von sechs Perpern bezahlen.

Das klingt sehr sozial! Vermutlich erklärt sich jedoch die mildere Bestrafung im zuletzt genannten Fall dadurch, dass der Verletzte im gesellschaftlichen ranking ganz weit unten steht.

Der Fall, dass ein Adeliger oder „ein guter Mensch“ einem Kleinbauern den Bart ausreißt, ist übrigens nicht geregelt. Deshalb muss man davon ausgehen, dass es hierfür keine Strafe gab.

Widersprüche:  Zar unter dem Gesetz, aber „Ohren ab“ für Versammlung

Das Gesetz von Dušan enthält jedoch auch sehr soziale und rechtsstaatliche Regelungen. So soll eine arme Witwe genauso frei sein wie ein Pfarrer (Art. 64), Personen, die vor Gericht selbst ihre Rechte nicht wahrnehmen können, sollen durch einen „Vertreter, der das Verfahren für sie führt“ (Art. 73), repräsentiert werden.

Besonders bemerkenswert ist Art. 43:

Der Herr Zar oder der König oder die Dame Zarin dürfen niemanden das Gut mit Gewalt wegnehmen, abkaufen oder austauschen, außer wenn er es selbst wünscht

Damit stellt sich Zar Dušan , also der Gesetzgeber, selbst unter das Gesetz.

Wer jetzt aber denkt, Zar Dušan  wäre ein Sozialreformer gewesen, täuscht sich. Art. 69 enthält zum Beispiel ein ziemlich drastische geahndetes Versammlungsverbot:

Es soll keine Versammlung der Kleinbauern sein. Wer an einer solchen Versammlung teilgenommen hat, dem schneide man die Ohren ab;  den Anführern wird (der Bart) abgesengt.

Ohren abschneiden für eine Versannlung? So sieht präventives Handeln eines diktatorischen Herrschers aus! Merkwürdig übrigens, dass es den Anführern nur an den Bart, den Teilnehmern aber an die Ohren, die nicht nachwachsen, gehen soll.

Dušan : Ein Kämpfer gegen amerikanische Einflüsse im Strafprozess!

Vor einigen Jahren wurde das Strafprozessrecht in Serbien unter starken amerikanischen Einfluss geändert. Dadurch wurde unter anderem das Rechtsinstitut des plea bargaings, als eines deals zwischen der Staatsanwaltschaft und dem Angeklagten, eingeführt.Dies wurde von vielen, ansonsten eher national-historisch orientierten serbischen Juristen begrüßt.

Nicht bedacht haben sie dabei, dass ein solcher „Kuhhandel mit der Gerechtigkeit“ vor Zar Dušan  wohl keine Gnade gefunden hätte. Er legt in Art. 84, S. 3 seines Gesetzbuches nämlich fest, dass es beim Gericht keine Umwege geben sollte, sondern es solle nur nach dem Gesetz geurteilt werden („samo da se sudi po zakonu“).

Das Richerbild Dušans

Überhaupt hatte Dušan  offensichtlich wenig mit einer Justiz am Hut (oder sollte man in diesem Fall sagen: an der Krone?), in der der Richter eine nur untergeordnte Rolle einnehmen soll.

In Art 111 bestimmte er nämlich, dass jemand, der einen

„Richter beschämt, wenn er ein Edelmann ist, alles genommen werden soll, und wenn es ein Dorf ist, soll es entvölkert und geplündert werden.“

Enteignung und Vertreibung bei Beleidigung von Richtern, da stellt sich doch schlagartig Respekt ein!

Andererseits scheint Dušan  auch ein gewisses Mißtrauen gegen die Richterschaft nicht fremd gewesen zu sein. In Art. 110 legt er nämlich fest, dass sie bei ihren Reisen über Land nicht berechtigt sind, von der Bevölkerung eine Mahlzeit oder sonst etwas zu fordern.

Wenn es noch eines weiteren Beleges für das ambivalente Richterbild Dušans gab: Die eben angesprochen Regelungen zu den Richtern finden sich zwischen einer Bestimmung über Zauberer und Giftmischer sowie einer weiteren über entflohe Gefangenen.

Für diejenigen, die Lust bekommen haben, in dem Gesetz zu schmöckern: Es gibt auch eine englische Übersetzung.

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