Serbien: Wirtshaus im Widerstand

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Nachträglicher Hinweis: Das „Wirtshaus im Widerstand“ wurde zwischenzeitlich auf seltsame Weise abgerissen.

Serbisch und fränkisch: Schweinefleisch und Bier

Der Autor dieser Zeilen ist Franke,  hält sich aber öfters in Serbien auf. Auf den ersten Blick haben Franken und Serbien wenig gemeinsam.

Wenn man tiefer in die Kulturen eintaucht und beide Sprachen beherrscht, dann sieht das ganz anders aus. (Was die Sprache angeht, soll es soll es übrigens Sprecher des Hochdeutschen geben, die behaupten, ihnen würde es leichter gelingen, das Serbische zu erlernen als das Fränkische…)

Eine der Gemeinsamkeiten ist die  Wirtshauskultur.

Auch ein „Kafana“ kann ein Wirtshaus sein

O.K., in Serbien gibt es das Wort „Wirtshaus“ eigentlich nicht, man geht dort in das „kafana“. In dem trinkt man Kaffee jedoch allenfalls zum Wieder-Nüchtern-Werden. Ansonsten ist eher Bier oder Hochprozentiges angesagt. Ursache für diese sprachliche Camouflage ist vermutlich der Umstand, dass man ein halbes Jahrtausend zum Osmanischen Reich gehört, in dem der Kaffeegenuss offiziell besser gelitten war als derjenige alkoholischer Getränke.

In einem „kafana“ (das streng von einem „kafic“, in dem es geordneter zugeht, zu unterscheiden ist!), gibt es deshalb Bier bis zum Abwinken, nicht selten Live-Musik mit eher traditionellen Weisen und es treffen sich dort – wie in einem fränkischen Wirtshaus – gleichermaßen Menschen, die vom Schicksal nicht begünstigt wurden, wie Geschäftsleute und Handwerker, die Aufträge und anderes Wichtiges zu besprechen haben.

„Hirschenbier“ hier wie da

Einer der Gründe, warum sie das dort tun, ist, neben dem Bier (eines der serbischen Biere heißt übrigens Jelen, also „Hirschenbräu“, auch dieser Namen klingt vertraut zwischen Pegnitz, Rednitz und Regnitz), das Angebot an Speisen. In beiden Kulturen, der serbischen wie der fränkischen, spielt nämlich das Wort „Cholesterin“ kaum eine Rolle, das Schweinfleisch dagegen eine umso größere. (Ein fränkisches „Schäufele“ wäre übrigens in Serbien eine eher kleine Fleischportion!) Und sowohl hier wie da gibt es Würste, gebraten bzw. gegrillt. Serbien ist also auch ein Bratwurstland.

Im Zeitalter der Globalisierung und Unifizierung sterben  solche Plätze, die von politisch unkorrekten Worten und Gedankenspielen der Tischnachbarn, sowie Speisen, die jede erotische Begegnung am Abend per se ausschließen (Knoblauch/Zwiebeln!), geprägt sind, leider aus.

Savamala ein bedrohtes kulutrelles  Biotop

Ein Biotop, in dem in Belgrad – bis zum letzten Jahr – dieselbe Kultur des grenzenlosen Denkens und Trinkens in kafanas/Wirtshäusern überlebt hatte, war „Savamala“. Das ist ein Ortsteil nahe des Bus- und Eisenbahnhofs an der Sava, die kurz danach in die Donau mündet, . Hier soll nach dem Willen der Politik nun, und zwar sobald wie möglich für drei  Milliarden Euro in Zusammenarbeit mit arabischen Investoren, ein neues futuristisches Stadtviertel namens „Belgrad über den Wassern“ entstehen. Dieses Vorhaben wird mit hedonistischen Slogans beworben, die wenig zu einer Wirtshauskultur passen. Einer davon ist: „Genießt Belgrad, genießt das Shopping, genießt das Leben“.

Futuristisches „Belgrade Waterfront“ verlangt seinen Tribut

In einer Geschwindigkeit, die für einen Rechtstaats zumindest  erklärungsbedürftig ist, schlossen hier in der „Herzegowina-Straße“ (fast) alle Lokale und sonstigen Objekte, darunter auch Ateliers der äußerst lebendigen Alternativkunstszene – und wurden gleich danach abgerissen.  Vor  den Baulücken und den wenigen übrig gebliebenen Fassaden sind „Billboards“, also großformatige Plakatwände aufgestellt. Darauf zu sehen sind junge, schöne Menschen, die viel Geld haben und mit Wirtshäusern wohl wenig anfangen können. Der kategorische Imperativ des Konsumismus blinzelt durch die Knopflöcher der prallen Blusen der abgebildeten Damen. In dieser Playmobilwelt ist kein Platz für das richtige Leben, für das  Älterwerden, für Freundschaft über Jahre und Falten hinweg, also für alles, was die Gemeinschaft in einem Wirtschaft/kafana ausmacht.

Savski ekspres“ („Sava Express“) als „letzter Mohikaner“

In dieser, bis vor kurzem quicklebendigen Belgrader Straße ist nur noch ein einziges Wirtshaus/kafana namens „Savski ekspres“ (der „Sava Express“) geöffnet. Die verbliebenen Reste dieses Gasthauses wirken, wie das Dorf der unbeugsamen Gallier in den Asterix-Heften. Ringsum alles abgerissen: Übriggebliebene Fassaden von Wirthäusern hinter „billboards“, die eine schöne neue Welt vorspiegeln, versteckt. Und auch das Hauptgebäude des „Savski Ekspes“ mit seinem großen Gastraum wurde bereits abgerissen. Man macht in dem weiter, was noch übrig ist. Da sind die Küche und ein kleiner Anbau, der gerade einmal Platz für drei, nun immer voll besetze Tische bietet. Und dort führt man den Wirthausbetrieb trotzig weiter.

Die genauen Hintergründe, warum hier ein geschrumpfter Gastraum, wie das Rettungsboot von Pi, bis auf weiteres in einem Ozean von abgerissenen Gebäuden, geschleiften Künster-ateliers und steinigen Brachflächen in der Hoffnung auf eine ungewisse Zukunft hindümpelt, sind weder der Chefin noch der Bedienung zu entlocken. Es bleibt unklar, ob diese Wortkargheit durch Schüchternheit oder durch Kalkül verursacht ist. So bleibt auch ungewiss, ob man es mit dem aufrechten Widerstand der Wirtin gegen das Megabauprojekt, oder dem Versuch, die Ablöse, die die „Drei-Milliarden-Investoren“ zahlen sollen in ungeahnte Höhen zu treiben, zu tun hat.

Egal, in jedem Falle kämpft hier der „letzte Mohikaner“ einer Wirtshauskultur, die bald dem Schicki-Micki-Kult weichen wird. Der fränkische Reisende beschließt, wieder-zukommen, solange es noch geht. Unterstützung nicht bis zur letzten Patrone, aber wenigstens bis zur letzten Bratwurst.

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