In memoriam Ljubiša Letić

Jugoslawien: Während des Zweiten Weltkriegs gespalten

Das Verhältnis zwischen Deutschland und Jugoslawien war, so die allgemeine Wahrnehmung, relativ entspannt. Viele Jugoslawen arbeiteten in Deutschland. Viele Deutsche machten dort Urlaub. Man kannte sich also, zumindest ein bißchen und gegenseitige Begegnungen gab es regelmäßig.

Wenn man genau hinsieht war das Verhältnis jedoch nicht so einfach. Ein Grund dafür liegt auch im deutschen Nationalsozialismus und dem Zweiten Weltkrieg, in dem die unterschiedlichen Teile des späteren Jugoslawiens (und teilweise auch die Mitglieder ein und derselben Familie) auf verschiedenen Seiten kämpften.

Während in Kroatien ein faschistischer Marionettenstaat an der Macht war, befand man sich weiter östlich im erbitterten Widerstand gegen die deutschen Besatzer. Dies hatte zur Folge, dass auf verschlungenen Wegen auch Menschen von dort als Zwangsarbeiter in die deutsche Provinz verschleppt wurden.

Ljubiša Letić: Von der Vojvodina in ein deutsches KZ

Einer von ihnen war Ljubiša Letić, ein Serbe aus der Vojvodina, der aus politischen Gründen unter anderem in einem KZ Außenlager in der mittelfränkischen Kleinstadt Hersbruck interniert war. Dort mussten Häftlinge, von denen tausende zu Tode kamen, Zwangsarbeit in einem Rüstungprojekt leisten.

Dazu gehörte auch eine unbekannte Zahl von Männern aus Jugoslawien, darunter Ljubiša Letić, der die Erinnerungen an seine Lagerzeit aufschrieb. Später wurden sie dann mit Hilfe von deutscher Organisationen in das Deutsche übersetzt und veröffentlicht. Letić wurde durch diese Veröffentlichung und durch seine Vorträge über seine Lagerzeit vor jungen Deutschen zu einer zentralen Person bei der Bewahrung der Erinnerung an das Lager Hersbruck. Vermutlich ist er nach dem späteren Kunstprofessor Vittore Bocchetta und dem deutschen Schriftsteller Bernd Engelmann der bekannteste Häftling des Lagers Hersbruck.

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Ljubiša Letić bei einer Gedenkfeier in Hersbruck; Foto: Thomas Geiger

Auszug aus Festschrift für Prof. Dr. Dr. h.c.  Vladimir Vodinelić

An Letić möchten wir mit dem nachfolgenden Beitrag erinnern. Bei ihm handelt es sich um einen übersetzten und für die Veröffentlichung im Internet angepasster Auszug aus einem Beitrag„Die Rolle von Nichtregierungsorganisationen und Einzelnen bei der Bewältigung der nationalsozialistischen Vergangenheit in Deutschland: Das Beispiel der Sachverhaltsaufklärung und Erinnerung an die KZ-Außenstelle Hersbruck“, aus der in serbischer Sprache erschienenen Festschrift für den Belgrader Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Dr. h.c.  Vladimir Vodinelić, der während der Milošević-Zeit in Deutschland politisches Asyl fand.

Nun, nach seiner Rückkehr nach Belgrad, ist er einer der wenigen, der dort an der Aufklärung des Unrechts in den autoritären Systemen der Vergangenheit arbeitet. Hierzu hat er unter anderem die Zeitschrift Hereticus – Časopis za preispitivanje prošlosti (Der Häretiker – Zeitschrift für die Überprüfung der Vergangenheit) mitbegründet.

„Jugoslawen“ im KZ Hersbruck

Unter den Gefangenen des Lagers in Hersbruck befanden sich auch Jugoslawen (weiter wurde  meist nicht differenziert). Über deren Gesamtzahl finden sich keine Angaben. In einer Quelle (Faul;. Gerhard/ Dietzfelbinger, Eckart, Sklavenarbeiter für den Endsieg: KZ Hersbruck und das Rüstungsprojekt,  Hersbruck, 2003, S. 114) wird jedoch der Prozentsatz der im Lager gestorbenen Angehörigen verschiedener Staaten errechnet (ohne allerdings die Gesamtzahl der Inhaftierten der jeweiligen Nationalitäten zu nennen).

Demnach starben dort bis Ende 1944 35 % der dort inhaftierten Franzosen, ca. ein Drittel der Italiener, 22 % der Polen, 15 % der Tschechen, 13 % der Jugoslawen, 8 % der Deutschen und 7 % der Russen.

Wie unter den Angehörigen anderer Nationalitäten gab es auch unter den Jugoslawen Häftlinge, die mit der Lagerleitung zusammenarbeiteten. Einer davon, übernahm es als Vorarbeiter unter den Häftlingen bei einigen Hinrichtungen, den Schemel umzustürzen, auf den man den Todgeweihten gestellt hatte, sodass dieser in die Schlinge stürzte.

Über das Schicksal der meisten Jugoslawen im Lager Hersbruck ist nichts bekannt. Von vielen weiß man nicht einmal mehr ihre Namen. Anders ist dies bei Ljubiša Letić, der einen ausführlichen Erlebnisbericht verfasst hat, der auch in das Deutsche übersetzt wurde.

Schuhe als Mittel zum Überleben

Letić kam mit 19 Jahren als politischer Gefangener in das Lager Hersbruck und schildert das Lagerleben detailliert. Hierbei beschreibt er zum einen die interne Hierarchie zwischen den Häftlingen, die harte Arbeit im Stollen und die allgemeinen Lebensbedingungen, die man als Außenstehender kaum glauben kann.

Hierbei taucht auch ein Motiv auf, dass in den Berichten des deutschen Schriftstellers Bernt Engelmann ebenfalls eine große Rolle spielt: Die Bedeutung von Schuhen für das Überleben in einem solchen Arbeitslager.

Engelmann erzählt davon, dass ihm seine guten Lederschuhe von einem anderen Häftling gestohlen wurden, bevor dieser einen, allerdings erfolglosen Fluchtversuch unternahm. Als die ganze Lagerbesatzung zur Hinrichtung dieses Flüchtlings antreten musste, sah Engelmann seine Schuhe wieder: Unerreichbar an den Füßen des Erhängten.

Auch Letić wurden seine Schuhe gestohlen. Er wusste sich nicht anders zu behelfen, als diejenigen eines anderen Mitgefangenen zu stehlen.

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Letić auf dem Gelände des ehemaligen KZ Hersbrucks; Foto: Thomas Geiger

Toter Mithäftling aus Sarajevo

Er berichtet auch vom Tod eines ihm unbekannten Schwerkranken aus derselben Baracke, den er drei Tage lang nicht meldete. Solange gaukelte Letićr den Wachmannschaften vor, dass dieser noch krank im Bett liegen würde. Worauf er selbst  drei Tage lang Essensrationen für zwei Personen bekam. Als er den Tod dann gemeldet hatte, und die Leiche abtransportiert worden war, fand er unter dem Bett noch drei Stücke altes Weißbrot, die er sofort verschlagen, und eine Brille, auf deren Etui „Sarajevo“ zu lesen war.

Religion bestimmte Richtung der Bestattung

Letić musste auch an dem Todesmarsch nach der Räumung des Lagers teilnehmen. Dabei berichtet er unter anderem auch, dass den Häftlingen bei Marschpausen auf Bauernhöfen von der deutschen Bevölkerung Nahrungsmittel zugesteckt wurden. Den Marsch absolvierte er gemeinsam mit dem Journalisten Gavrilo Kaplarski aus Srbobran in der Bačka, der dabei starb und in einem Grab mit einem Italiener beerdigt wurde. Dabei wurde der orthodoce Serbe mit dem Kopf nach Osten und der katholische Italiener mit dem Kopf nach Westen bestattet.

Erinnerung und Versöhnung als gemeinsamer Auftrag an überlebende Opfer und junge Generation

Diese wenigen Beispiele zeigen, wie detailreich der Bericht von Letić ist. Dass man ihn heute noch nachlesen kann ist dem Verein „Dokumentationsstätte KZ Hersbruck e. V.“ zu verdanken, einer Initiative, die in Folge der Facharbeit zum KZ-Außenlagers Hersbruck des Gymnasiasten Gerd Vanselow und weiterer Initiativen Einzelner zum Thema gegründet wurde.

Zusätzlich gefördert wurde der Druck des Erfahrungsberichtes durch die „Bürgerbewegung für Menschenwürde e.V.“  und weitere private Sponsoren.

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Bemerkenswert an Letić, der sich nach dem Krieg in Novi Sad ansiedelte, ist auch, dass er auch im hohen Alter vor Jugendlichenin Deutschland in Vorträgen über seine Erfahrungen berichtete und damit nicht nur einen Beitrag gegen das Vergessen, sondern auch zur Versöhnung zwischen beiden Völker leistete.

 

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Hersbrucker Schüler erinnern an die Namen getöteter KZ-Häftlinge; Foto: Thomas Geiger

Veranstalter dieser Begegnungen waren auch hier wiederum Bürgerinitiativen und Vereine, aber auch Schulen.

Heute gibt es in Herbruck eine Erinnerungsstätte und ein Denkmal, das an das Lager erinnert. Im Jahre 2012 bildete man bei einer Gedenkveranstaltung mit einer Menschenkette die Ausmaße des damaligen Lagers nach:

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Ein herzliches Wort des Dankes

Besonderer Dank gilt meinem Schulfreund Thomas Geiger, der als professioneller Fotograf neben seinen zahlreichen Arbeiten für bundesweite Zeitungen und Zeitschriften und als Industriefotograf den Alltag, die Geschichte und die Natur von Hersbruck  begleitet. Von ihm stammen die Bilder zu diesem Beitrag.

Besonders anrührend finde ich das Bild von Ljubiša Letić mit deutschen Schülern: Ein überlebendes Opfer und die Enkel der Tätergeneration gemeinsam im Gedenken vereint:

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Im Gedenken vereint; Foto: Thomas Geiger

In memoriam Gerd Vanselow

Vor vielen Jahren drohte die Erinnerung an die damaligen Ereignisse in Hersbruck für immer in Vergessenheit zu geraten. Dass dies verhindert werden konnte ist das Ergebnis verschiedener Initiativen, Vereine und Einzelpersonen. Eine zentrale Rolle spielte hierbei Gerd Vanselow, der mit einer Facharbeit über das KZ in Hersbruck damals auf viele Widerstände stieß, aber gleichzeitig auch zum Beginn einer Erinnerungskultur beitrug.

Gerd Vanselow ist leider Ende 2019 im Alter von 55 Jahren in Afrika, wo er als Entwicklungshelfer tätig war, verstorben.

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