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Der Balkanizer – Ein Jugo in Deutschland, Danko Rabrenovic, 338-9Du Mont 2015 , ISBN: 978-3- 8321-602537080, 9,90 Euro
Jugo heute ist nicht Jugo „von damals“
„Ein Jugo in Deutschland“: Der Untertitel des Buches hätte vor drei Jahrzehnten niemanden erstaunt. Damals war „Jugo“ noch eine normale, von einigen als despektierlich betrachtete, von anderen durchaus mit Sympathie verwandte Kurzform für jemanden, der aus dem damals noch existierenden Staat Jugoslawien stammte.
Heute steckt in der Selbstbezeichnung als „Jugo“ein Bekenntnis. Wer sich so bezeichnet, weist sich selbst eine Heimat zu, die es nicht mehr gibt, die aber gleichzeitig eine Herkunft ist, die man mit vielen teilt, die diese heute lieber verleugnen. Jemand, der sich nach den nationalen Neuausrichtungen in den 90-er Jahren noch als Jugo bezeichnet, schwimmt gegen den Strom und hat deshalb meist einen eigenen Kopf.
Die meisten dieser Menschen haben einen handfesten Grund, diese Bezeichnung zu wählen: Sie können sich nämlich nicht dazu durchringen, eines ihrer Elternteile für wertvoller zu halten als das andere. Nichts anderes ist es nämlich, wenn man aus einer sogenannten Mischehe stammt, und sich dann explizit als der Nationalität nur eines seiner beiden Elternteile zugehörig definiert.
Deutschen Lesern mag so etwas schwer verständlich sein. Tatsache ist jedoch, dass genau das im ehemaligen Jugoslawien nicht selten vorkam.
Selbstklassifizierung zu Lasten eines Elternteils
Einer von denen, der den Versuchung der indirekten Lossagung von einem Elternteil durch Bekenntnis zur Nationalität des anderen nicht erlegen ist (und auch noch deutliche Sympathien für die dritte große Volksgruppe im ehemaligen Jugoslawien zeigt) ist Danko Rabrenovic, (eigentlich: Rabrenović) Kind eines (in alphabetischer Reihenfolge) kroatisch-serbisch Ehepaars. Er hat (unter Mitwirkung von Sebastian Brück) dieses ebenso angenehm zu lesende wie interessante Buch geschrieben.
„Vor dem Krieg“ (damit ist auf dem Gebiet des „ehemaligen Staats“ nicht der Zweite Weltkrieg genannt!) arbeitete er als Kameraassistent für das Belgrader Studio des kroatischen Senders HTV. In dieser Funktion wurde er damals zunehmend zu einem Fremden in der Hauptstadt seines eigenen Landes. Gleichzeitig brachte es diese berufliche Tätigkeit mit sich dass er von den Ereignissen, die in die Katastrophe führten, und einigen der Hauptakteure, häufig nur eine Kameradistanz entfernt war. Bereits das, was er darüber berichtet, ist mehr als lesenswert (S.13 ff; die Seitenangaben beziehen sich auf die 2. Auflage des Buches, die bei Tag & Nacht erschienen ist), gerade auch, weil er es mit seiner eigenen Biografie verbindet:
Bis zur Eskalation war es nur noch eine Frage der Zeit. Gleichzeitig weigerte sich etwas in mir, den Ernst der Lage zu akzeptieren. Es konnte doch nicht sein, dass mein Land im Krieg versinken würde. Wieso sollte es plötzlich wichtig sein, ob man Serbe oder Kroate war?
Nicht eigene Nationalität bestimmt Sympathien
Rabrenovic bleibt in dieser Situation weiter „Jugo“. Viele in ähnlicher Situation haben sich für die Nationalität eines ihrer beiden Elternteile entschieden. Vermutlich die meisten, für diejenige, die zu dieser Zeit im jeweiligen Lebensumfeld am wenigsten Probleme gemacht hat (und“ Probleme machen“ konnte durchaus auch heißen: getötet zu werden).
Rabrenovic , der rechtzeitig nach Deutschland kam, um sich solche Fragen nicht stellen zu müssen, lässt sein eigenes Urteil nicht durch die Nationalität seiner Eltern bestimmen. Er zeigt nämlich am meisten Verständnis für die dritte nationale Gruppe, mit der er keine Blutsverwandschaft hat (S. 15):
Außerdem galt meine Sympathie am ehesten den Muslimen in Bosnien, die am wenigsten auf den kommenden Krieg vorbereitet waren…
Erst „Aufenthaltstitelmarathon“ und „Ausreisepflicht“, dann „Integration ohne Mutation“
Der Hauptteil des Buches beschäftigt sich mit dem Leben eines Jugos , der als Kriegsflüchtling nach Deutschland kam, und dort nach vielen Irrungen und Wirrungen dort (halb) heimisch wurde. Man könnte auch sagen, dass Deutschland die eine Hälfte seiner persönlichen Heimat, die sich nicht an nur einem geographischen Ort befindet, wurde. Rabrenovic nennt sein Einleben in Deutschland „Integration ohne Mutation“.
Er berichte wird von dem belastenden „Aufenthaltstitelmarathon“ (S. 35) und der „Ausreisepflicht“, der er zeitweise unterlag, also von einem Leben, in dem nichts planbar und nicht sicher war, nicht einmal der Aufenthaltsort. Er berichtet von wechselnden Jobs am Anfang seines Lebens hier, später von einer beruflichen Karriere als Radiomann für ein Nischenthema. Ab und zu wird auch ein Blick auf die alte Heimat geworfen. Mit der ernüchternden Feststellung, dass nun dort (S. 19):
die Situation noch chaotischer ist als im Sozialismus.
Interessant sind auch die Ausführungen zu der/den angeblich ach-so-verschiedenen Sprache(n) (so zB. S. 82ff), zu der/denen es auch in diesem Blog Informationen gibt.
Risiko „Abschiebung“ als Preis für ein Rockkonzert
Für viele Deutsche (nicht aber den Autor dieser Zeilen!) wird es sicher nicht nachvollziehbar sein, dass Rabrenovicc gegen die behördliche Auflage, als Flüchtling mit „Duldung“ das Bundesland nicht zu verlassen, verstößt, um als halber Kroate und halber Serbe nach Amsterdam zu einem Konzert der mazedonischen Band „Leb i Sol“ zu fahren, und es so in Kauf nimmt, sein Aufenthaltsrecht in Deutschland zu verlieren.
Dies belegt die Strahl- und Bindungskraft des Jugo-Rocks, der auch anderweitig in dem Buch eine Rolle spielt.
Deutsches Frühstück als Kulturschock
Auch den Deutschen wird der Spiegel vorgehalten. Beispielsweise dann, wenn von der in studentischen Kreisen gepflegte Übung, sich zum gemeinsamen Frühstück zu treffen, zu dem jeder etwas mitbringt, die Rede ist (S. 70).
Wieso das? Eigentlich ist es doch sehr sozial, gemeinsam ein Essen zu organisieren?
Für einen Jugo ist es jedoch unvorstellbar, als Gast das eigene Essen mitbringen zu müssen, weil ein Gastgeber doch selbst dafür zu sorgen hat, dass alle satt werden.
Hier erhebt sich beim Rezensenten Widerspruch. Dieser erinnert sich nämlich daran, dass ihm Ende der 80-er ein anderen Jugo, der sich ein Zeit lang in Deutschland aufgehalten hatte, begeistert von genau diesen Frühstücken erzählt hatte.
Die „Mitbringpflicht“ erwähnte er gar nicht. Er war dagegen fasziniert von der undeutschen Entspanntheit deutscher Studenten, die nach einer langen Party am Vorabend bei einem stundenlangen Frühstück zwischen Kaffeetassen, selbstgedrehten Zigaretten und Zeitungsteilen, die über den Tisch hin und her getauscht wurden, so gar nicht dem üblichen Klischee der immer eifrigen „Schwaben“ entsprachen. Außerdem hob er besonders hervor, dass die Deutschen am Vorabend durchaus auch lebenslustig gefeiert und getrunken hatten.
Zudem erschien es ihm einer besonderen Hervorhebung wert, dass trotz langem Feierns und intensivem Alkoholgenusses alle Beteiligten unterschiedlichen Geschlechts irgendwann jeder in seinen eigenen Schlafsack kroch, ohne dass es unter den Männern zu Streitereien oder nachher gegenüber den Frauen zu irgendwelchen dummen Anmachen gekommen wäre.
Zwei Welten, ein immer aktuelles Thema
Das Buch ist für alle, die sich für den „ehemaligen Staat“ interessieren, ein Gewinn, weil es aus dem Leben geschrieben ist und auf unterhaltsame Art die Ereignisse der Zeitgeschichte und ihre Auswirkungen auf den Einzelnen beschreibt. Das Buch ist schon etwas älter.Roter Faden ist das Leben zwischen zwei Welten. Deshalb ist es gerade in den jetzigen Tagen aktuell, da es somit auch vom Flüchtlingsdasein berichtet. Manches, was Rabrenovic aus seiner Anfangszeit in Deutschland berichtet, erleben Ankömmlinge aus Nordafrika gegenwärtig. Wenn alles gut läuft, werden uns diese heutigen Flüchtlinge in 25 Jahren genauso normal vorkommen wie dieser Danko, der dieses Buch geschrieben hat.
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